Kommentar Münchner Kunstfund: Die pure Heuchelei
Die bei Gurlitt sichergestellten Gemälde werden wohl nicht zurückgegeben werden. Schuld daran könnten jahrelange Versäumnisse der deutschen Justiz sein.
R aubkunst, so sagt es schon der Name, ist etwas Gestohlenes. Der Eigentümer, so die logische Schlussfolgerung, hat ein Recht auf Rückgabe. Der Dieb wird, wenn sich seine Schuld beweisen lässt, bestraft. So viel zum allgemeinen Rechtsempfinden. So viel auch zu den Erwartungen der bestohlenen Holocaustopfer und ihrer Nachfahren sowie zahlreicher internationaler Beobachter im Fall der aufgetauchten Bilder von Cornelius Gurlitt.
Doch diese Erwartung wird nach allem, was zu erwarten ist, enttäuscht werden. Das hat einen einfachen Grund: Die Taten sind nach deutschem Recht verjährt. 30 Jahre beträgt diese längst abgelaufene Frist, übrigens eine deutsche Besonderheit, die in diversen anderen europäischen Staaten bei NS-Raubkunst nicht existiert.
Auch die Washingtoner Erklärung zu von den Nazis beschlagnahmten Kunstwerken hilft in diesem Fall nicht weiter. Es handelt sich zum einen um eine rechtlich nicht bindende Übereinkunft, und sie betrifft zudem öffentliche Sammlungen. Gurlitt aber ist Privatmann, und der hat erklärt, dass er seine Bilder behalten möchte. So wird Recht zu Unrecht und es entsteht der Eindruck, dass Deutschland zwar sehr würdige NS-Gedenkstätten errichtet, aber die Geldbörsen geschlossen hält, wenn es ans Zahlen geht.
Nun haben einige Juristen die Auffassung vertreten, dass die Verjährungsfristen im Fall Gurlitt nicht greifen und daher doch ein Anspruch auf Rückgabe bestehen könnte. Die Augsburger Staatsanwaltschaft hat sich dazu bisher nicht konkret geäußert. Die Bundesregierung verbreitet Nebelkerzen des guten Willens. Wie und wann ein Gericht in diesem Fall konkret entscheiden wird, ist nicht absehbar.
Deshalb sind die wohlfeilen Erklärungen der Bundesregierung zu dem Fall nichts weiter als Heuchelei. Deutschland hätte jahrzehntelang Zeit gehabt, die Verjährungsfristen zu verlängern oder ganz aufzuheben – so wie es im Fall von Mord unter ausdrücklichem Bezug auf NS-Gewaltverbrechen auch geschehen ist.
Paragrafen sind keine Naturerscheinung, die auf Bäumen wachsen. Sie werden von Menschen gemacht. Wenn noch irgendeine Möglichkeit besteht, das absehbare Unrecht im Fall von wohl 590 von den Nazis gestohlenen Kunstwerken zu korrigieren, dann sollte die kommende Bundesregierung genau dies tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass