Kommentar Mord in Leipzig: Macht der Gewöhnung
Einer der Mörder des jungen Irakers in Leipzig war ein Neonazi. Das politische Berlin diskutiert lieber über "Deutschenfeindlichkeit" statt über Rechtsextremismus .
E in "fremdenfeindliches Motiv" sei "nicht ausgeschlossen". So heißt es immer dann, wenn sich eine Tat wie die in Leipzig ereignet. Denn die beiden Männer, die vor einer Woche einen jungen Iraker niedergestochen haben, waren nicht nur wegen früherer Gewalttaten polizeibekannt. Mindestens einer von ihnen war jahrelang in der rechtsextremen Szene aktiv.
Es ist bezeichnend, dass dieser Mord erst jetzt, nach einigen Tagen, über Leipzig hinaus Aufsehen erregt. Denn auch wenn die Wogen der Empörung über solche Taten alle paar Jahre hochschlagen: Deutschland hat sich an rechtsextreme Gewalt, die auf seinen Straßen sporadische Todesopfer fordert, längst gewöhnt.
Mindestens 137 Todesopfer haben Reporter der Zeit und des Tagesspiegels jüngst seit 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, bis heute in beiden Teilen Deutschlands gezählt. Mit dieser Meldung sorgten sie vor ein paar Wochen für kurzes Aufsehen, denn offiziell werden in der Polizeistatistik bislang nur 47 dieser Toten als Opfer rechter Gewalt gezählt.
Doch das politische Berlin beschäftigt sich mit anderen Fragen. Innenminister Thomas de Maizière macht sich gerade auf die Suche nach sogenannten Integrationsverweigerern. Und Familienministerin Kristina Schröder möchte den Linksextremismus auf eine Stufe mit rechter Gewalt setzen und prangert lieber eine ominöse "Deutschenfeindlichkeit" auf deutschen Schulhöfen an, als sich mit tödlichem Rassismus zu beschäftigen.
Klar ist, dass sich rechtsextreme Täter durch die unsägliche Integrationsdebatte, die Thilo Sarrazin mit seinen rassistischen Thesen ausgelöst hat, in ihrem Tun bestätigt sehen können. Doch dieser Zusammenhang, so offensichtlich er im Grunde ist, wird nur zu gern verdrängt.
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