Kommentar Militäreinsatz Libyen: Einsatz nicht zu Ende gedacht
Alle beteiligten Mächte handelten bisher aus innenpolitischen Motiven. Was das Ziel des Angriffs sein soll, ist nicht klar. Am Ende könnten Merkels Bedenken noch bestätigt werden.
F rankreich, Großbritannien und die USA haben mit ihren Luftangriffen vom Wochenende auf Waffen und Infrastruktur der libyschen Regierungsstreitkräfte wahrscheinlich verhindert, dass diese Bengasi erobern und dort ein Blutbad anrichten. Damit war das dringlichste humanitäre Ziel der UNO-Resolution vom Freitag erreicht. Doch wie soll es nun weitergehen?
Darüber herrscht unter den bislang an der Militäraktion beteiligten westlichen Staaten in Nato und EU sowie unter den arabischen Nachbarländern Libyens große Uneinigkeit. Soll Gaddafi gestürzt werden? Das hatten zwar die EU und US-Präsident Obama verlangt, nicht aber der UNO-Sicherheitsrat in seiner Resolution zur Autorisierung der militärischen Maßnahmen. Was geschieht, wenn tatsächlich tausende Stammesangehörige dem Aufruf Gaddafis folgen und mit Ölzweigen und vielleicht auch Gewehren in der Hand nach Bengasi pilgern? Sollen die dann aus der Luft bombardiert werden? Und falls die Aufständischen versuchen, Städte zurückzuerobern, oder auf die Hauptstadt Tripolis marschieren - sollen sie dann aktiv militärisch unterstützt werden?
Es zeigt sich, dass keiner der Beteiligten die Operation mit dem euphemistischen Namen "Odyssee Morgendämmerung" zu Ende gedacht hat. Weil alle vorrangig aus innenpolitischen Motiven und Kalkülen handelten. Frankreichs Präsident Sarkozy preschte politisch und militärisch vor, um sein miserables Image zu Hause wie in den ehemaligen nordafrikanischen Kolonien zu verbessern. Obama vollzog seinen abrupten Schwenk hin zu militärischen Maßnahmen unter dem Druck des Kongresses und gegen anhaltende Bedenken der Streitkräfteführung. Und die 17 Regime der Arabischen Liga, die zunächst eine Flugverbotszone über Libyen forderten, inzwischen aber die Angriffe westlicher Luftstreitkräfte vom Wochenende als "maßlos" kritisierten, handelten in beiden Fällen mit dem Kalkül, die Opposition im eigenen Land zu beruhigen.
Andreas Zumach ist taz-Korrespondent bei den Vereinten Nationen in Genf.
Auch das Nein von Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle zu militärischen Maßnahmen und die Enthaltung der Bundesregierung im UNO-Sicherheitsrat erfolgten in erster Linie aus innenpolitischen, wahltaktischen Motiven. In der Sache könnten ihre Bedenken allerdings schon bald durch die weitere Entwicklung des Libyenkonflikts bestätigt werden.
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