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Kommentar Merkels EuropapolitikMerkels erfolgreiche Niederlagen

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die Kanzlerin wird widerlegt: Was auf dem Euro-Gipfel verabredet wurde, ist nichts anderes als eine Umschuldung. Gegen eine solche aber hat sie sich bis zuletzt gewehrt.

B undeskanzlerin Angela Merkel hat alle, die ihr europäische Führungsschwäche vorwerfen, zumindest in den vergangenen zwei Tagen wirkungsvoll brüskiert: Sie riss kurz vor dem Krisengipfel die Initiative an sich, reanimierte die deutsch-französische Achse und band geschickt die anderen Staatschefs ein. Taktisch war Merkels Europainitiative jedenfalls ein Erfolg. Ihr ist zu verdanken, dass die Staatschefs überhaupt einen Kompromiss fanden.

Ob sie allerdings auch inhaltlich gewonnen hat, ist noch nicht abzusehen. Denn das, was Merkel als deutschen Sieg verkauft - die freiwillige Beteiligung der Banken -, ist bisher eine faktisch kaum unterlegte Rechnung. Den Banken stehen viele Hintertüren offen, sie können innerhalb der beschlossenen Instrumente für sie günstige Lösungen suchen, und noch längst ist nicht klar, ob sie tatsächlich am Ende eine relevante Summe auf den Tisch legen. Immerhin: Bei einer marginalen Beteiligung wäre ihnen ein immenser Imageschaden gewiss.

Gleichzeitig musste Merkel für den Kompromiss eigene Grundsätze schleifen. Sie fährt die Strategie "Viel Peitsche, wenig Zuckerbrot", hütet sich vor Versprechen und zögert Hilfen hinaus, um Länder wie Griechenland zum Sparen zu zwingen. Dabei scheute sie auch vor Populismen über urlaubende Spanier nicht zurück, mehrfach wurden ihre Aussagen zudem von der Wirklichkeit überholt.

anja weber
ULRICH SCHULTE

ist Leiter der Berliner Parlamentsbüros der taz.

Auch jetzt wird Merkel widerlegt: Denn was die Staatschefs verabredet haben, ist nichts anderes als eine Umschuldung. Gegen eine solche aber hat sich die Kanzlerin - zumindest in der Öffentlichkeit - bis zuletzt gewehrt, ebenso gegen die Umwidmung des Rettungsschirms. Die Ironie: Merkels Niederlagen sind ein Sieg für Europa. Gerade die Neuausrichtung des Schirms, die sie verhindern wollte, stellt die Weichen für eine Lösung der Krise.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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5 Kommentare

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  • HK
    Hans-Peter Krebs

    Nach den kakophonischen Äußerungen von Ulrike Hermann und Gert Stuby lies mich der Kommentar von Ulrich Schulte wieder auf Qualitätsjournalismus hoffen, weil er richtigerweise an der knallharten Real- und Machtpolitik von Merkel ansetzt, die sich nicht um das schert, was gestern hochgehalten wurde, sondern nur gezielter und taktisch richtig eingesetzter Erfolg: und das ist vor allem die Vormachtsposition Deutschlands in der EU. Auch wenn das manche christliche Hinterbänkler nicht schnallen...

  • KP
    K. Pfeiffer

    Ich bin überrascht, wie wenig Journalisten den sehr erfolgreichen Kurs der Kanzlerin entschlüsseln können. Dabei ist es gar nicht schwer. Merkel verweigerte sich anfangs einem Rundum-Sorglos-Paket und zwang somit Griechenland und mögliche weitere Krisenländer, zunächst immer erst eine Gegenleistung (also Reformbeschlüsse zur Haushaltssanierung etc.) für eine Leistung der Eurozone zu erbringen. Hätte sie das nicht gemacht, wäre das gerade für die Südländer eine Einladung gewesen, ohne schmerzhafte Reformen einfach wie bisher weiterzumachen. Mittlerweile sind alle Länder der Eurozone auf Reformkurs. Irland ist stark genug, Portugal reformiert sich und selbst Italien, das über eine starke Wirtschaft verfügt, hat ein Sparpaket beschlossen. Spanien hat eine sehr niedrige Verschuldung und hat sogar zuletzt die Rente mit 67 beschlossen. Auch die Zustimmung zu einer "sanften Umschuldung" Griechenlands hat sich Merkel bezahlen lassen. Banken, Versicherungen etc. müssen sich beteiligen und den Weg zur automatischen Transferunion hat sie verbaut, weil der EFSF künftig nur dann handeln kann, wenn alle 17 Euro-Staaten und die EZB zustimmen. Ein voller Erfolg für Merkel und den Euro! In der Tat war sie es, die im Vorfeld des Gipfels hart arbeitete, um ihn zu einem Erfolg werden zu lassen. Sie blockt immer so lange ab, bis sie ein akzeptables Ergebnis hat und ist cleverer als alle anderen zusammen.

  • S
    Stimmvieh

    Allmählich frage ich mich, ob Merkel wirklich gegen eine Umschuldung war bzw. ist, oder ob sie lediglich wollte, dass es für die Medien so aussieht, damit sie zu Hause besser da steht.

     

    Bis auf den Wunsch an der Macht zu bleiben hat Frau Merkel ja bislang nicht eben durch Prinzipien geglänzt.

  • E
    Exportvizeweltmeisterbesieger

    Die Umschuldung ist nur ein kleiner Schritt, zu klein, um wirklich was zu bewegen.

    Zuckerbrot gibt es trotzdem für die Banken. Für wen denn sonst? Ach ja, die Exportunternehmer natürlich auch.

    V.a erste profitieren von den Schulden der Griechen, welche selbst- und fremdverschuldet die Zeche zahlen. Freilich nicht die griechischen Vermögenden, sondern der Steueranzahler an sich - in Deutschland wie in Hellas. Je durschnittlicher dieser ist, um so höher ist der Anteil vom Einkommen. Entschulden kann man sich zur Hälfte Dänemark, Schweden und Finnland taten. Alles möglich durch höhere Steuern, auch auf Vermögen:), und mehr Wachstum durch Wirksamkeit von Lohnerhöhungen und Staatskonsum. Alles andere führt in die Pleite. Überall. So wie die Lohndumpingstrategie, sprich Ausbeutung der deutschen Exportindustrie, die weiterhin bestehen bleibt. Die Bundesangela füttert immer die Reichen. Schon mal aufgefallen?!?!?!? Vielleicht mal die Statistiken lesen...

  • SB
    Siegfried Bosch

    Wie bitte? Viel Peitsche, wenig Zuckerbrot!? Falsch: Die konkreten Dinge des Beschlusses (d.h. die Sachen, die auch tatsächlich umgesetzt werden) fallen allesamt in die Kategorie Zuckerbrot: Die Senkung der Zinsen (auch für Irland -- ihre Dumpingsteuersätze dürfen sie behalten (und es wird lobend Fortschritt in der Sache erwähnt -- das ich nicht lache!)), die De Facto Implementierung des Europäischen Währungsfonds, die Haftung für griechische Schulden.

    Dagegen gibt es nur eine nebulöse Bankenbeteiligung und Rückkaufaktionen, bei denen niemand weiß, ob man damit wirklich Geld spart, obwohl konkrete Summen im Beschluss stehen (so wie in dem Beschluss auch etwas von Privatisierungen in Griechenland drinsteht -- die werden nie durchgeführt).