Kommentar Merkel: Kanzlerin der Exportnation
Der Auftritt der Kanzlerin bei Jauch zeigt: Die politische Krise hat Angela Merkel erstmal überstanden, die ökonomische Krise noch lange nicht.
S ie hat es mal wieder geschafft: Angela Merkel hat eine akute Krise überstanden, vielleicht die weltpolitisch folgenreichste ihrer Amtszeit. Aber warum eigentlich?
Ihre Ausgangslage war denkbar ungünstig: Eine große Mehrheit der Bevölkerung und eine noch größere in ihrer Partei waren und sind gegen eine andauernde Rettung Griechenlands und anderer Euro-Problemländer mit Staatsgeldern; dazu kamen noch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und zurücktretende Zentralbanker.
Die Verbündeten im Rest der Welt hingegen blickten zunehmend fassungslos auf die deutsche Politik und ihr Zögern. Sie forderten die Deutschen auf, ihre geheiligten Prinzipien endlich über Bord zu werfen angesichts einer drohenden weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Und der Regierung einer Exportnation stehen die Partnerländer im Zweifelsfall näher als die eigenen Wähler.
ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Merkel hat dieses Dilemma durchgestanden. Es sah vor allem nach der Berlinwahl nicht gut aus für sie. Aber wie es dem politischen Geschäft nun einmal grundsätzlich zu eigen ist, hat sich das akute Problem durchgesetzt vor den langfristigen Bedenken. Selbst der früher so hartleibige Internationale Währungsfonds will ein Billionen-Euro-Paket schnüren, um den Europäern zu helfen. Welcher deutsche Abgeordnete will da noch mit einem Nein die Schuld an einem weltweiten Crash auf sich laden?
Doch Merkels Sieg wird ihr nur kurzfristig Luft bringen. Denn selbst wenn genug Zeit gekauft wird, damit Griechenland ohne größere Schäden in die Zahlungsunfähigkeit gehen kann und ein Übergreifen auf andere Euroländer verhindert wird: Die finanzielle und politische Rechnung wird irgendwann kommen.
Bis dahin muss die Bundesregierung noch einige Staaten auf ihre Seite ziehen, damit es zu wirksamen Regulierungen des Finanzmarktes kommt. Denn die bisherigen Profiteure zahlen die Rechnung nicht mit. Sie verdienen sogar noch am Hochschaukeln der Krise.
Es ist unklar, ob einer Bundesregierung gelingt, was auch ein US-Präsident nicht ansatzweise schafft. Aber wenn ein systematisches Ungleichgewicht in den Milliardenpaketen steckt, wenn immer die Gleichen zahlen und die anderen profitieren, dann wird es der Union mit der Eurorettung gehen wie der SPD mit Hartz IV: Die Partei wird bei einem ihrer Kernthemen unglaubwürdig. Und zwar langfristig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr