Kommentar Merkel und der Atomausstieg: Die Flucht nach vorn

Merkel hat nur eine Wahl: Wenn sie nicht mit einem Ausstieg vom Ausstieg alle Glaubwürdigkeit verspielt, muss sie die AKWs schneller als von Rot-Grün geplant abschalten.

Auf der Überholspur zum Atomausstieg wird es langsam eng. Wo in den letzten Jahrzehnten einsam der VW-Bus der Grünen rumzuckelte und nur ab und zu der Tankwagen der SPD links blinkte, rast jetzt die Limousine der Kanzlerin. Hinter ihr drängelt schon das Guidomobil der FDP mit Lichthupe. Alle wollen, so schnell es geht, raus aus der Sackgasse namens Atomkraft.

Aber für Angela Merkel kann das im Crash enden. Denn die Kanzlerin steckt in der Klemme: Ihr rasches Umschwenken auf einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Atomenergie sollte die Probleme lösen, die die Katastrophe in Fukushima vor dem Kanzleramt abgeladen hat: Plötzlich finden auch Konservative das Risiko der Kernkraft untragbar, plötzlich schlägt die Stimmung der Bevölkerung von leise maulend auf lautstarke Empörung um. Baden-Württemberg geht verloren, Umweltminister Röttgen sieht sich bestätigt und kichert leise vor sich hin, der Wirtschaftsflügel der Union schäumt wegen des schnellen Ausstiegs.

Merkel hat nur eine Wahl: Wenn sie nicht umfällt und mit einem Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg endgültig alle Glaubwürdigkeit verspielt, muss sie die AKWs abschalten, und zwar schneller, als Rot-Grün es geplant hätte. Denn der imagemäßige Super-GAU für Schwarz-Gelb wäre der Rückzug auf die Linie Schröder/Fischer/Trittin, die die Atomkraftwerke geordnet und rechtssicher - welch ein Unterschied der vermeintlichen Spontis zu Merkels nuklearer Basta-Politik - bis etwa 2020 auslaufen lassen wollten.

BERNHARD PÖTTER leitet das Ressort Umwelt und Wirtschaft der taz.

Merkels einzige Chance ist die Flucht nach vorn: keinen Moratoriumsmeiler wieder ans Netz lassen, keine Übertragung von Strommengen, massive Investitionen in neue Energien und Netze. Das wird teuer, denn die Atomkonzerne werden nicht auf ihre Gewinne verzichten wollen. Und es wird schwierig, denn der Wirtschaftsflügel der Union verwechselt gern mal konservative Politik mit ideologischer Beschränktheit.

Wer hat also das Sagen in der Union? Die Beton- und Atomfraktion oder Angela Merkel, die der CDU bereits eine Frau als Chefin zumutet, ihr eine halbwegs moderne Familienpolitik abgetrotzt hat und auf die Wähler in den Großstädten zielt? Merkels inhaltliche Leere ist hier ein Vorteil: Wenn die Leute es wollen - na gut, dann machen wir eben den Atomausstieg. Das gäbe keinen Preis für politischen Stil, ist aber egal. Hauptsache: raus.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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