Kommentar Merkel und NPD-Verbot: Warten auf die Kanzlerin

Die Länder haben sich für einen NPD-Verbotsantrag entschieden, die Kanzlerin taucht ab. Ihr Dauerzögern schadet dem Anliegen.

Muss noch mal auf die Versuchsanordnung schauen – Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bild: dapd

Es gibt sie dann doch, die Momente, in denen deutlich wird, dass die Bundeskanzlerin promovierte Physikerin ist. Angela Merkel, die in ihrer Jugend in der DDR zwölf Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitete, betrachtet Politik gerne wie eine Versuchsanordnung. Sie beobachtet lange, sie misst und protokolliert Stimmungen akribisch, und sie rechnet sich früh alle nur denkbaren Ergebnisszenarien aus, um zuvor an den nötigen Rädchen drehen zu können.

Merkel sieht Politik als Prozess, bei dem sie gerne als erste weiß, welche Lösung am Ende ins Reagenzglas tröpfelt. Welche Nachteile diese Herangehensweise hat, zeigt sich gerade beispielhaft beim NPD-Verbot. Merkel hat sich bis heute nicht zu einer klaren Position durchringen können.

Alle Bundesländer, auch die CDU-geführten, sind nach einer jahrelangen Debatte bereit, diese menschen- und demokratieverachtende Partei zu verbieten. Für diese Position spricht viel. Es ist schwer erträglich, dass eine neonazistische Ideologie über die Parteienfinanzierung vom Steuerzahler subventioniert wird. Und Merkel? Die Physikerin zögert und schaut zu.

Gute Argumente für Skepsis

Während die Länder ihren Antrag am Freitag im Bundesrat mit guten Argumenten beschlossen haben, steht die Bundesregierung tatenlos daneben. Sicher, auch Merkel hat gute Argumente für ihre Skepsis. Natürlich sieht es nicht danach aus, dass die schwächelnde NPD tatsächlich einmal an die Macht käme, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte würde ein Verbot unter diesem Aspekt sehr genau prüfen.

Merkels Schadensanalyse ist also eine andere als die der Länder. Sie fürchtet, dass ein Scheitern die Rechtsextremen stärkt. Ihr ist, um noch einmal im wissenschaftlichen Bild zu bleiben, die Versuchsanordnung zu diffus. Ein Ergebnis ist dieses Mal nicht vorhersehbar, und der Schaden eines schief laufenden Experiments NPD-Verbot wäre enorm. Doch Merkels Bedenken, so nachvollziehbar sie sind, produzieren dieses Mal gleich mehrere kontraproduktive Effekte.

Zunächst einen taktischen Nachteil für sie selbst: Sie hat es verpasst, innerhalb der Union eine Mehrheits-Haltung zu organisieren und muss nun damit leben, dass die eigenen Länderchefs an ihr vorbeiziehen. Wirklich wichtig ist jedoch etwas anderes. Merkel hätte sich entscheiden müssen. Politik ist kein Laborversuch.

Wenn Merkel es tatsächlich für richtig hält, auf den Verbotsantrag zu verzichten, hätte sie früher handeln müssen. Nun, da er nicht mehr aufzuhalten ist, schwächt die Kanzlerin den Vorstoß mit ihrem Zögern. Die Physikerin hat sich verrechnet. Und gerade weil sie Schaden fürchtet, Schaden produziert.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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