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Kommentar Merkel beim CDU-ParteitagDie gütige Matriarchin

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Angela Merkel hat das geschickt gemacht in Karlsruhe. Das Wichtigste war das Einschwören der Zuhörerschaft auf das C im Parteinamen.

Angela Merkel, kurz bevor sie ihren Schwerpunkt auf das C setzte. Foto: ap

E s war ein bisschen wie Weihnachten beim Parteitag der CDU in Karlsruhe. Unterm Tannenbaum traf sich die zerstrittene Familie, um sich zu vergewissern, dass man immer noch zueinandergehört, auch wenn im zurückliegenden Jahr die Fetzen geflogen sind. Und Angela Merkel war die gütige Matriarchin dieser herzerwärmenden Veranstaltung, die pünktlich zum Jahresausklang selbst die widerstrebenden Kinder in den Schoß der Familie zurückführte.

Neun Minuten dauerten die Standing Ovations der tausend Delegierten nach der Rede der Vorsitzenden. Angela Merkel, die in den letzten Monaten von ihrer Partei jeden Tag ein bisschen gezaust wurde, war die Rührung anzusehen. Am Ende bat sie regelrecht um Erlösung von derart viel Zustimmung, indem sie erklärte, man habe „noch zu arbeiten“.

Man muss sich nichts vormachen: Dieser Weihnachtsfrieden der Regierungspartei wird nicht lange währen. Im kurz vor knapp vorgelegten Vorstandspapier hat man nun statt einer Obergrenze für Flüchtlinge „eine spürbare Verringerung“ festgeschrieben. Dieser Formelkompromiss wirkt wie eine Art Druckverband für eine Partei, der vorübergehend zu einem neuen Selbstbewusstsein als Macherpartei verholfen wird.

Angela Merkel hat das geschickt gemacht. Sie hat nicht nur ihrer Basis das Gefühl gegeben, die Flüchtlingspolitik Schritt für Schritt in den Griff bekommen zu können. Sie hat sich auch als mächtige Europapolitikerin präsentiert, die den störrischen Nachbarn zeitnah zeigen wird, dass sie mit ihrer Blockadehaltung nicht weiterkommen. Doch das Wichtigste war ihr Einschwören der Zuhörerschaft auf ihre eigenen christdemokratischen Wurzeln: auf das C im Parteinamen. Verbunden mit dem wohl bleibenden Satz, es gehe aktuell um nichts weniger als „das schönste und das beste Deutschland, das wir haben“.

Man kann das belächeln. Wohlfühlpatriotismus von einer Politikerin, die massive Asylrechtsverschärfungen durchs Parlament peitscht? Das Beschwören christlicher Wurzeln durch die Vorsitzende einer Partei, die ausgerechnet den Familiennachzug aussetzen will? Es ist nun mal so: Die Kanzlerin dieses Landes heißt aktuell Angela Merkel. Sie nimmt ihre Richtlinienkompetenz wahr, selbst gegen ihre eigenen Leute. Aus innerer Überzeugung. Diesem Ereignis konnte man in Karlsruhe beiwohnen.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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12 Kommentare

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  • Ich glaube, diese extensiven Beifallsstürme bedeuten dasselbe, wie wenn Merkel jemandem ihr vollstes Vertrauen ausspricht. Die Ärmste - ob sie es ahnt?

  • Scheinheiligkeit war schon immer das Markenzeichen der Christdemokraten.

     

    Bei "Macherpartei" musste ich aber dann doch stutzen - das müsste doch viel eher "Nichtmacherpartei" heißen...

  • Unfassbar! So einen heroischen Jubel konnte man in Deutschland letztmalig am 1. August 1914 erleben, als der Kaiser die Kriegserklärung gegen Russland verkündete. Augen zu und durch, bloß nicht über Konsequenzen nachdenken – so lautete damals die Devise und so lautet sie heute wieder.

     

    Der Kern der gestrigen Beschlüsse lautet ja: „Wir als wahre Christen nehmen selbstverständlich jeden Flüchtling mit offenen Armen auf. Wenn dieser Flüchtling allerdings von anderen daran gehindert wird, Deutschland zu erreichen, und sei es mit Gewalt, dann liegt das nicht in unserer Verantwortung. Wir haben ja nur dafür gezahlt.....“

     

    Angesichts der breiten Zustimmung zu diesem Weg hat Frau Merkel jetzt einen ernsthaften Konkurrenten bei der Vergabe des Nobelpreises der Scheinheiligkeit erhalten: die CDU als Ganzes.

    • @Urmel:

      Wenn ich jemanden bezahle, zum Beispiel einen Mörder, dann bin ich für dessen Tun (mit-)verantwortlich.

      • @Thomas Ebert:

        Diese Stellungnahme sollten Sie mal der CDU senden - dort scheint speziell das Wort "Verantwortung" relativ unbekannt zu sein.

  • Kadavergehorsam! Linientreue!

    Hatten wir das nicht schon einige Male?

  • tja, Gabriel dürfte wohl neidisch sein!

  • „Angela Merkel hat das geschickt gemacht in Karlsruhe“

     

    Eine Herausforderung für Sigmund Freud wäre dieser Satz! Er könnte analysieren, ob daraus Kritik spricht oder eher Neid, weil Frau Merkel kann, was andere gern könnten!

    • @Pfanni:

      "...Neid, weil Frau Merkel kann, was andere gern könnten!"

       

      Die Raute kann jeder und viel mehr ist da nicht.

  • "Angela Merkel hat das geschickt gemacht. Sie hat nicht nur ihrer Basis das Gefühl gegeben, die Flüchtlingspolitik Schritt für Schritt in den Griff bekommen zu können. Sie hat sich auch als mächtige Europapolitikerin präsentiert, die den störrischen Nachbarn zeitnah zeigen wird, dass sie mit ihrer Blockadehaltung nicht weiterkommen."

     

    Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals in Deutschland ein Kanzler so behutsam angefasst worden wäre wie Merkel. Es ist regelrecht erstaunlich.

     

    Nun zum Zitat:

     

    Man höre sich einmal um: Die Basis hat keinesfalls das Gefühl, dass Merkel das Problem der Flüchtlinge "in den Griff bekommt". Die Basis ist im Übrigen auch nicht unter den illustren Gästen eines Parteitags.

     

    Und wenn einer wirklich glaubt, dass Merkel die "störrischen Nachbarn" wiederum auf ihre Politiklinie zwingen wird, der - und auch das weiß die Basis besser als die abhängige sog. Parteielite - ist wirklich sehr naiv.

  • Wieviele Beiträge zu einem in seinem Verlauf vorhersehbaren CDU-Parteitag wird es noch geben?

    Es war doch klar daß Merkel dort nicht demontiert wird und daß sie wieder alles in schöne falsche Wörter kleiden wird.

  • Solange das übermotivierte Innenministerium und die psychopathischen Geheimdienstler nicht wie weiterhin ihre eigenen Fakten schaffen - könnte es auch mit der sozialen Umverteilung weitergehen.