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Kommentar Macrons WahlprogrammEmmanuel der Kühne

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Das Wahlprogramm des Präsidentschaftskandidaten Macron überrascht nur in einem Punkt: Er will ein neues französisches Sozialversicherungssystem.

Überrascht nur ein ganz kleines bisschen: das Wahlprogramm des von Emmanuel Macron Foto: reuters

N ichts Umwerfendes steht im Programm von Emmanuel Macron, der beste Aussichten hat, Frankreichs neuer Präsident zu werden: Ein wenig sozialer Ausgleich und Förderung der bisher auf dem Arbeitsmarkt Diskriminierten, die Aussicht auf mehr Kaufkraft für die Berufstätigen, eine weitere Liberalisierung der Wirtschaft mit Reformen, wie sie in den Nachbarländern längst beschlossen und umgesetzt wurden.

Für die Skeptiker – und die sind so zahlreich wie seine Fans – gibt es in dieser wahlpolitischen Gemischtwarenhandlung Produkte von links und rechts, Sozialwirtschaftliches und Neoliberales. Jeder kann Erfreuliches und Störendes finden.

In einem Punkt aber überrascht Macron durch seine Kühnheit: Er will das französische Sozialversicherungssystem von Grund auf neu organisieren. Das ist allein schon deshalb mutig, weil sich die letzten Staatschefs und ihre Regierungen schon bei bescheidenen Teilrevisionen regelmäßig die Zähne ausgebissen haben. Denn wer an dieser wichtigsten sozialen Errungenschaft aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auch nur Retuschen anbringen will -und sei es aus besten Absichten- , wird sogleich des Kapitalverbrechens gegen das Sozialmodell bezichtigt.

Macron hat Vorschläge gemacht, wie man dieses schwerfällig, ineffizient und ungerecht gewordene Monster der „Sécu“ (Altersrente, Invaliditäts-, Kranken- und Berufsunfallversicherung plus Familienzulagen) mit seinen unzähligen separaten Kassen und unterschiedlichen Konditionen für private und öffentliche Arbeitnehmer vereinfachen könnte, es flexibler und für jeden Versicherten durchschaubarer gestalten könnte.

Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Reform ist, dass sie als Gesamtpaket und nicht häppchenweise angepackt wird, damit Jeder und Jede eine transparente Netto-Bilanz ziehen und die Vor- und Nachteile unter dem Strich abwägen kann. Dass Zögerlichkeit sich nicht auszahlt, scheint Macron aus seiner Zeit als Minister von François Hollande gelernt zu haben.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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4 Kommentare

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  • Glückauf E. Macron !

    En Marche !

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Macron ist der französische Tony Blair sans USA-Affinität. Sein Erfolg würde früher oder später die englische (oder auch österreichische) Entwicklung zur Folge haben.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      ... warum lediglich die englische oder auch österreichische? Würde Macron's Erfolg früher oder später nicht auch die deutsche Entwicklung zur Folge haben?

       

      Wie dem auch sein sollte, für Frankreich und die EU wäre Macron - verglichen mit seiner Konkurrenz, allen voran mit Frau Le Pen - vermutlich der bessere Präsident.

  • Ja, man darf gespannt sein,, wie er das umsetzen wird!

     

    Interessant aber und mein Hauptpunkt: Wieder ein Schlag in das Gesicht der etablierten Parteien!

    Ein freier Kandiat mit übergeifenden Themen von links bis rechts. Bzw. Koalitionen der Mitte? Anders sind die extremen Parteien nicht zu stoppen? Ja, ich sehe das so!

    Nach Jahren des Wachstums der "Nicht-Wähler-Partei" ein weiterer Warnschuss dass die Leute was anderes wollen.

    Wieviel Warnschüsse benötigen die klassischen Konservativen/Sozialisten... dass sie von der Zeit überrollt werden?

     

    In Zeiten von freien Kommunikationswegen und flexiblen Lebensentwürfen wird die nächste Generation sich noch weniger in Parteikorsetten und Meinungsdogmen bewegen als jetzt schon.

    Und die, die sich dogmatsich festlegen und organisieren wollen gehen eher zum FN/Wilders usw.