piwik no script img

Kommentar Machtwechsel in KanadaKlatsche für anti-islamische Parolen

Jörg Michel
Kommentar von Jörg Michel

Ein ermutigendes Zeichen: Kanadas bisheriger Premier Stephen Harper wetterte gegen Muslime und Flüchtlinge. Der Schuss ging nach hinten los.

Muss nach zehn Jahren als Premier einem Liberalen Platz machen: der Konservative Stephen Harper.

E s war eine bemerkenswerte Wahlnacht in Kanada. Während sich in vielen Ländern angesichts der Flüchtlingskrise rechtspopulistische Parteien und Parolen immer weiter ausbreiten, haben die Kanadier am Montag ein gegenteiliges Zeichen gesetzt. Sie haben ihren rechts-konservativen Regierungschef Stephen Harper nach fast zehn Jahren in den Ruhestand geschickt und sich für einen Neuanfang links der Mitte entschieden.

Dabei hat auch in Kanada die Flüchtlingskrise eine entscheidende Rolle gespielt – aber ganz anders, als man es vermuten würde. Harper hatte geglaubt, im Wahlkampf mit anti-islamischen Parolen punkten zu können. Er wetterte gegen Frauen mit muslimischem Schleier, warnte die Kanadier vor vermeintlich „barbarischen kulturellen Praktiken“ und stemmte sich gegen die Aufnahme von zu vielen Flüchtlingen.

Doch der Schuss ging gewaltig nach hinten los. Je länger die Kanadier Harpers Parolen ertragen mussten, desto mehr wandten sich angewidert ab. Statt um Harpers eigentliche Kernthemen Wirtschaft oder Steuern ging es im Wahlkampf am Ende fast nur noch um die Frage von Werten. Viele Kanadier fragten sich: Ist Harpers Kanada noch unser Kanada?

An der Wahlurne haben die Kanadier die Frage eindeutig mit nein beantwortet. Mit Justin Trudeau haben sie sich jetzt für einen Regierungschef entschieden, der die großzügige Einwanderungstradition des Landes verteidigen, mehr Flüchtlinge aufnehmen und das Land insgesamt zusammenführen und nicht spalten will. In Zeiten wie diesen ist das ein ermutigendes Zeichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jörg Michel
Korrespondent
Berichtet seit 2010 für die taz als freier Korrespondent aus und über Kanada. Davor Studium der Politik, Volkswirtschaft und des Öffentlichen Rechts in Freiburg, Potsdam und Ottawa. Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Erfahrung als Redakteur in Berlin in den Resorts Wirtschaft, Politik und Parlamentsbüro.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Die die Wahl entscheidenden Themen dürften weniger die in Kanada defacto nicht vorhandene "Flüchtlingskrise" oder anti-islamische "Ausrutscher" des konservativen Ex-Premiers gewesen sein, sondern eine Richtungswahl: weg vom einseitig neoliberalen Kurs der alten Regierung hin zu einem Neustart in Sachen Einwanderungs- Wirtschaftspolitik, v.a. aber Umweltschutz und CETA. Es ist in den deutschen Medien zwar kein großes Thema, aber CETA ist in Kanada nicht sehr beliebt und die bisherige Opposition kündigte im Wahlkampf an, im Falle eines Wahlsieges CETA in aktueller Form nicht zu unterzeichnen. Darauf darf nun - auch im Interesse von uns Europäern gehofft werden.

    P.S. Die Mehrheit der US-Amerikaner lehnt TTIP genauso ab, wie es in Europa der Fall ist. Nur stehen da aktuell leider keine Wahlen an.

  • „Barbarische kulturellen Praktiken“, da meint er wohl FGM.

    • @Gabriel Renoir:

      Oder gar GLAF?

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Gay und Lesbians? Ich meinte Female Genital Mutilation.

  • Ich muss wohl doch irgendwann nach Kanada auswandern - dort kann man noch Hoffnung in die Menscheit haben...

    • @Marcus:

      Viel Glück.

      Allerdings haben die ein Einwanderungsgesetz, dass prüft welchen Wert sie für die kanadische Gesellschaft haben.

    • @Marcus:

      Kann man nicht. Wer Kanada für nett, liberal und multikultifreundlich hält, irrt sich gewaltig: War kürzlich ne interessante Doku auf Arte "Zuhause in der Wildnis" zu sehen, über eine Familie, die vor einigen Jahren nach Kanada zog: Er Indianer, sie Hamburgerin und ihre dort geborenen 4 Kinder. Was die erzählten, wie man sie rassistisch-sexistisch angriff, widerlichst beleidigte und erniedrigte, bedrohte, einschüchterte... die fünfzehn Jahre alte Tochter konnte es nicht mal erzählen, weil die Tränen ihre Worte erstickten... das relativiert unser naives Bild vom guten Kanada doch ziemlich. Die Realität sieht völlig anders aus, als es uns die gelungene Propaganda eingetrichtert hat. Viel Schein, wenig Sein.

       

      Nicht umsonst berufen sich Pegida- Seehofer- und AfD-konforme Leute gerne auf das "vorbildliche kanadische Einwanderungsgesetz".

  • In Kanada gibt es keine Flüchtlingskrise wie in Europa. Folglich funktioniert entsprechende Stimmungsmache auch nicht.

    • @Nase Weis:

      Felix Canada.

    • @Nase Weis:

      In Kanada ist die Stimmung auch ohne "Flüchtlingskrise" höchst rassistisch. Nicht umsonst haben die ein "Einwanderungsgesetz", das von NPD, AfD, Union, Pegida, Sarrazin und jeweils der brauneren Hälfte der Sozen und der Grünen bewundert wird.

  • In der Tat ist dieses Wahlergebnis ein ermutigendes Zeichen. Allerdings hat die sozialdemokratische NPD in Quebec Sitze verloren, weil sie ein Niqab-Verbot bei der Einbürgerungszeremonie ablehnt und sie sich nicht auf diese schmutzige Debate einlassen wollte. Der nationalistische Bloc Quebecois hat 9 seiner 10 Sitze auf Kosten der NDP gewonnen und in diesen Wahlkreisen spielte die Niqab-Debatte leider eine große Rolle.

    Dagegen freue ich mich sehr, dass diese Wahl zeigt, dass sich Stammtischparolen und Ängsteschüren eben nicht immer auszahlen. Die konservative Partei hat sich von der hasserfüllten australischen Kampagne inspirieren lassen und ist zum Glück dafür abgewatscht worden. Ich hoffe, andere Kampagnenmanager werden davon lernen.