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Kommentar LoveparadeRücktritte, sofort

Kommentar von Andreas Wyputta

Duisburgs Oberbürgermeister leidet offenbar an Realitätsverlust, verteidigt er doch noch immer sein Sicherheitskonzept. Sein Rücktritt ist überfällig.

E in enger, langer Tunnel, den Polizisten für eine Todesfalle halten. Ein Gelände, dass laut offizieller Genehmigung nur für 250.000 Menschen geeignet ist - und das, obwohl jeder weiß, dass über eine Million Raver anreisen werden. Feuerwehrleute, die seit Monaten wegen fehlender Fluchtwege warnen: Wohl um Geld zu sparen, hat Duisburgs Stadtverwaltung, allen voran CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland und sein Parteifreund, Rechts- und Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe, alle Sicherheitsbedenken ignoriert. "Optimale Sicherheit" versprach Rabe. "Bestens vorbereitet" sei die Stadt für die "riesige Party".

Schlimmer noch: Beide verteidigen ihr sogenanntes Sicherheitskonzept bis heute. "Alles" habe seine Verwaltung "darum gegeben, ein sicherer Austragungsort zu sein", erzählt Sauerland noch immer - und leidet damit offenbar an Realitätsverlust: Schuld an der Katastrophe mit 19 Toten sind nicht er und seine ignoranten Mitarbeiter. Verursacht wurde das Desaster durch das "individuelle Fehlverhalten" Einzelner, das war Sauerland schon wenige Stunden später klar.

Mag der mediale Druck noch so groß gewesen sein, mögen Kulturhauptstadt-Organisatoren und Landesregierung noch so deutlich gemacht haben, dass sie 2010 keine Absage der Loveparade wünschen: Niemand hätte sich vorstellen können, dass Sauerlands Verwaltung dafür Tote billigend in Kauf nimmt. Wer, wenn nicht Polizei, Feuerwehr und Ordnungsamt, hätte für eine Absage der Loveparade sorgen müssen?

Jetzt kündigt der Bürgermeister zwar an, sich seiner "persönlichen Verantwortung" stellen zu wollen. Doch wann er das tun will, sagt er nicht - gut möglich, dass Sauerland zusammen mit seinem Sicherheitsdezernenten noch immer davon träumt, doch noch an seinem Sessel kleben zu können. Das wäre der zweite Realitätsverlust der beiden Hauptverantwortlichen. Denn deren Rücktritt ist überfällig - sofort.

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Inlandskorrespondent
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22 Kommentare

 / 
  • AN
    anno nm

    Wut, Wut und nochmals Wut empfinde ich.

     

    Nein nicht auf die Verantwortlichen der Lovparade allein.

     

    Wut auf Politiker, auf die Gesellschaft die unsere Jugend schon seit Jahren traumatisiert.

    Was kann es sonst sein, dass es zu solchen Events hinzieht. Fun um jeden Preiss, auf jeder Hundehochzeit dabei sein, von den Medien beworben als wars das letzteinzig Wichtige was es gibt.

     

     

    Hoffentlich erwacht die Jugend aus einem jahrelangen Trauma.

     

    Wieviele dieser Raver haben schon einen Abend ums Lagerfeuer mit Liedern und einer alten "Klampfe" erlebt?

  • S
    Sikasuu

    Moralisch hat der Kommentar ja recht. Aber leider hat das ganze nichts mehr mit Moral sondern jetzt mit Haftungsfragen zu tun.

    .

    Die Verantwortlichen werden wohl "zurückgetreten" werden. Aber offiziell NICHT wegen der Love-Parade.

    .

    Das wäre ein vorweggenommenes Schuldeingeständniss und würde unübersehbare Haftungsfragen nach sich ziehen.

    .

    Leider! ist unsere Welt so!!

  • PB
    Pater Brown

    "Jetzt kündigt der Bürgermeister zwar an, sich seiner 'persönlichen Verantwortung' stellen zu wollen." Niemand kann "ankündigen zu wollen", da die Realisierung des Angekündigten in der Zukunft liegt. Und wer weiß schon, was er dann wollen wird? Richtig ist, dass "der Bürgermeister ankündigt, sich seiner 'persönlichen Verantwortung' zu stellen." In welch fragwürdiger Form auch immer.

  • R
    Rolle

    Irgendwie stellt sich hier doch auch die Frage, was sich die Verantwortlichen in Duisburg eigentlich unter der Loveparade vorgestellt haben. Sicher, sie wollten zeigen wie hip der Pott doch ist, wie angesagt er auch in der jugendlichen Popkultur ist. Ich kann das sogar verstehen, ist halt für eine solche Region wichtig, nicht immer nur für Abschwung und Arbeitslosigkeit zu stehen.

    Aber: Es ist ja offensichtlich, dass die Verantwortlichen in keiner Weise antizipiert haben, was die Loveparade ausmacht (evtl. auch mal vor langer Zeit ausgemacht hat - nämlich, viele Menschen, die quasi die feiernd die Eintagesanarchie zelebrieren. Wie kann der Veranstalter auf die Idee kommen, eine solche Party einzäunen zu lassen, sie wie ein normales Konzert zu organsieren? Die Loveprade ist eine Parade - die Menschen - häufig auf Drogen - brauchen Platz und Ausweichmöglichkeiten.

    Wenn sich eine Stadt darauf einlässt, die Loveparade auszurichten, dann muss sie eben auch einen Tag Chaos in Kauf nehmen, die Ordungsvortsellungen des CDU-Bürgermeisters können bei einer solchen Veranstaltung einfach nicht funktionieren. HIer wollte Duisburg wohl beides - Anerkennung als junge und popkulturelle Metropole und Ordnung und Sauberkeit wie die brave Provinz - sowas kann einfach nicht gut gehen!

  • V
    Verantwortung

    In Köln stürzen ganze Straßen ein.

    Aus der deutschenbahn werden dehydrierte Kinder in lebensbedrohlichem Zustand abtransportiert.

    In Duisburg sterben 20 Menschen.

    Verantwortung trägt niemand.

     

    Ja, ich warne auch vor vorschnellen Anschuldigungen und plädiere für eine lückenlose Aufklärung.

     

    Dann, wenn allerdings, die Verantwortung geklärt ist (und wir bräuchten dringend eine Verantwortungsdiskussion im Bundestag), geht es nicht mehr darum, wer welchen Job verliert, sondern darum, wer wie lange ins Gefängnis muß.

  • H
    Hackintoshi

    Es ist doch lächerlich und kontraproduktiv in der öffentlichkeit über ungelegte eier zu orakeln.

    Es ist offensichtlich, das fehler bei der planung gemacht wurden.

    Ich weiß, wie das procedere einer genehmigung für solche events verläuft.

    Wenn die genehmigende behörde den antrag für die durchführung des events absegnet ist sie dafür verantwortlich.

    Denn sie hat zu prüfen, ob alle voraussetzungen erfüllt sind für den gefahrlosen verlauf des events. Wenn sie fachlich dazu nicht in der lage ist, müssen sie sich eben von sachkundigen beraten lassen.

    Aber wie heißt es bekanntermaßen; jedes volk bekommt solch eine regierung die es verdient. Und bekanntermaßen sind auch eine menge pfeifen darunter.

  • M
    Martin

    @tati: Sie schreiben, jeder sei für sich alleine verantwortlich. Falls Sie es inzwischen noch nicht selbst gemerkt haben sollten: Das gilt definitiv nicht bei Großveranstaltungen!

  • M
    Michael

    Ich habe in der TAZ selten so ein dummes Zeug gelesen, und das will was heißen.

     

    Bis jetzt gibt es nur Vermutungen, Anschuldigungen und dumme Journalistenkommentare.

     

    Vielleicht sollte man erst einmal die Aufarbeitung der Katastrophe abwarten, bis man Rücktrittsforderungen stellt, aber dann kann man ja nicht mehr dick titeln.

  • W
    Whio

    20 Tote reichen nicht für einen Rücktritt-kein Funken Moral!

    Die öffentlich rechtlichen WDR´Sender lassen sich von den karrieregeilen Politkern und Ex-Intendanten Pleitgen,und ruhr2010 Manager Dr.Scheytt vor den Karren der mcfit Privatwirtschaft spannen!

    Zitat:Die Loveparade ist ein Leuchtturmprojekt der ruhr.2010

    ..und weil Duisburg pleite ist springt das Rüttgers-Land NRW mit einer sechsstelligen Summe für Sicherheitspersonal ein!

    Wer darf natürlich nicht fehlen im Bunde-die gut klimatisierte Bundesbahn sponsert durch ihre Immobilientochter Aurelis mehrere Hunderttausend Euro!

    ...macht weiter mit eurer dreckigen PPP-

    prima hier mit dem "Westen"(WAZ) zu leben!

    PS bei Adolf S. Aussagen nur noch Brechreiz

  • W
    wunderbar

    resultat: sauerland ist weg vom fenster, verdient endlos pension als altbürgermeister, nimmt irgendwo einen überbezahlten job an, am besten da wo ihn keiner kennt und büßt für sein fehlverhalten nicht.

    rücktritte werden inzwischen überall sofort gefordert, die konsequenzen sind allerdings minimal.

    ich bin zwar auch für ein verschwinden der hauptverantwortlichen (allein für die nach der katastrophe getroffenen aussagen) aus ihren ämtern, aber das kanns dann auch nicht gewesen sein.

  • N
    Nikolini

    Wenn jetzt die Polizei in Köln die Ermittlungen übernimmt, dann sollte auch die Kölner Staatsanwaltschaft die Aufarbeitung dieser Katastrophe übernehmen !

     

    Scheint so, das Herr Sauerland erst am Samstagmorgen das "OK" zu dieser Veranstaltung gegeben hat und da war der Anmarsch von Hunderttausenden nicht mehr aufzuhalten.

     

    Warum das "OK" so spät ?

     

    Der OB von Duisburg und sein Sicherheitschef müssen

    schnellstens gefeuert werden !

  • L
    Lotta

    Ich hoffe nicht, dass man den Verantwortlichen unterstellen kann, billigend die Toten in kauf genommen zu haben. Diese Tragödie hat sicher auch sie, bei aller Profit- und Prestigegier, erschüttert, und wenn sie annähernd menschlich sind, können sie die nächsten Jahre nicht mehr ruhig schlafen in Anbetracht dessen, was sie angerichtet haben.

    Nee, ich würde eher sagen, da hat einfach niemand dran gedacht. Schlimmer, niemand hat nachgedacht oder mal die Augen und Ohren aufgesperrt. Ob solche Leute führende Positionen haben sollten, ist natürlich eine andere Sache....

  • J2
    Johannes 2662

    Wildlive fordern und jetzt den Zoo vermissen?

  • A
    atypixx

    @ ArbeitMAchtNichtFrei

     

    Owei - ist das Satire oder ernstgemeinter Blödsinn?

     

    So weltfremd, dass Sie annehmen, die Toten kämen den Verantwortlichen gelegen, ja, wären womöglich Teil eines strategischen Konzeptes gezielter Tötungen, sind sie doch hoffentlich nicht?!!

  • KM
    Kirsten Minke

    Eigentlich fehlen mir angesichts dieser grausamen Tragödie die Worte....trotzdem möchte ich meine Gedanken hier mitteilen....Wie kann nach Erfahrungen mit der Parade seit 1989 und ihrer stetig ansteigenden Besucherzahl eine solch menschenunwürdige Planung genehmigt werden? Bleibt zu hoffen, dass die Justiz zu einem gerechten Urteil gelangt und im Vorfeld die Verantwortlichen, deren Ignoranz unübertreffbar ist, die Konsequenzen tragen und ihre Ämter niederlegen.

    Mein herzlichstes Beileid und Mitgefühl haben alle Angehörigen der Opfer und alle traumatisierten Jugendlichen....

  • H
    Horst

    @TaTi

    Es ist eben nicht jeder nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch für seine Nächsten, also Nachbarn, Kinder, Väter usw., kurz gesagt Mitmenschen. Und ganz besonders diejenigen, denen die Fürsorgepflicht bei solchen Großveranstaltungen obliegt. Aber die haben vermutlich leider auch so gedacht, dass sie nur sich selber, ihrem Profit und Renommee verantwortlich sind. Aber das ist ein Trugschluss, den die Schuldigen bald durch die deutsche Justiz bitter erfahren werden. Und das zu Recht.

     

    Abgesehen davon muss natürlich klar sein, dass das Heer besoffener, mit Pillen aufgeputschter Jugendlicher, die nicht für Liebe, sondern Oberflächlichkeiten, Mainstream und Kommerz stehen immer eine potentielle Gefahr darstellen. Aber gerade deshalb muss man mögliche Eskalationen antizipieren und darf sie nicht provozieren, indem man diese Menschen nur als Risiko ansieht. Es sind schließlich keine Tiere oder eine Ware, die man beliebig einpferchen und manipulieren kann.

     

    Ein Charakterzug dieser Gesellschaft in der zwar der Individualismus ohne Rücksicht auf Verluste gepredigt wird, aber der einzelne Mensch mit seinen Individualitäten nichts zählt, ist hier offenkundig geworden.

  • W
    Wahrhaftigkeit

    3 Fragen:

     

    Warum hat sich der Veranstalter bisher nicht entschuldigt für das Geschehene?

     

    Wieviel Fördergelder sind geflossen an die Loveparade - direkt und indirekt?

     

    Was ist dran am Gerücht, dass Dieter Gorny stiller Teilhaber der Lopavent GmbH ist?

     

     

    gez.

    Bürger gegen Filz!

  • F
    flopserver

    verbale Ausflüchte in die Offenbahrung

     

    Es ist schon interessant zu sehen und hören, wie sich die Beteiligten, mit dem Ziel den Beweis ihrer Unschuldigkeit zu erbringen, dabei ganz schön verplappern. So z.B. gestern der Polizeisprecher auf der Pressekonferenz, der extra betonte die Polizei hätte die ganze Zeit regulierend auf den Menschenzustrom zum Veranstaltungsort eingewirkt. Damit wollte er wohl dem möglichen Vorwurf der Untätigkeit der Polizei entgegenwirken. Aber wenn die Polizei den Zustrom reguliert hat, dann hat sie ihn fatal falsch reguliert, wie die dramatischen Ereignisse belegen.

    Dann sprach gerade der unsägliche Panikforscher Michael Schreckenberg (nomen est omen?) im ZDF-Spezial. Er war ja beratend tätig. Er gesteht sich im Nachhinein zu, das er womöglich zu wenig und nicht intensiv genug gewarnt hätte.

    "Er hatte das vorgelegte Sicherheitskonzept abgenickt." bemerkte aber schon vorgestern der Spiegel. Nun geht er auf Distanz zum Veranstalter. Diese Distanz wollte er mit der Tatsache belegen, daß Veranstalter ihm untersagt hätte, das Veranstaltungsgelände und den Tunnel zu filmen. In dem Moment dachte ich wirklich, ick hör´nich jrichtig: Wie ich ihn verstanden habe, so wollte er die Massenpanik filmen - nach dem Motto: 'Wenn ich die Situation schon zuvor falsch eingeschätzt habe und voreilig abgenickt habe, so will ich doch als Panikforscher wenigstens meinen Profit, bzw. Forschungsmaterial daraus ziehen. Die dramatische Situtation bietet sich an. Eine gute Gelegenheit!'

    Wenn ich es also richtig einschätzte, dann haben wir es hier mit "einem gewieften Forschungsreisenden" zu tun. Fehlt nur noch der kafkaeske Apparat, der ihm ein Urteil einschreibt.

  • T
    TaTi

    Wenn ich mich, möglicherweise betrunken und zugekifft, auf eine Party mit 1,4 Mio ebenfalls großteils Angeheiterten begebe, dann muss ich mir im Klaren sein, dass das ein gewisses Risiko birgt. Feiern bis zum Abwinken, mit der Masse mitrennen wie die Lemminge, das ist der neue Mensch von Heute. Dieser Mensch braucht den Starken Staat, der ihn beschützt. Und der die Hölle auf Erden wird, wenn er sich in seiner Gesetzesflut weiterentwickelt. Lasst das arme Bürgermeisterlein in Ruhe. Jeder ist für sich alleine verantwortlich.

  • RG
    Reiner Groh

    Herr Sauerland,

    wer nicht vernünftig organisieren kann, kann auch nicht entsprechend aufarbeiten!!

    Darum: Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung und treten Sie zurück!!!!

  • L
    litb

    Endlich mal ein Zeitungs-Kommentar der die Sache beim Namen nennt.

  • A
    ArbeitMachtNichtFrei

    Deutsche Bürokraten zeigten schon immer 'dienstbeflissenes Geschick' wenn es darum ging, viele Menschen auf engstem Raum einzupferchen und dabei 'billigend' inkauf zu nehmen, dass einige dabei umkommen. Früher nannten deutsche Bürokraten das 'Endlösung', heute 'Sicherheitskonzept'. Der hochnäsige, menschenverachtende und hämische Geist des deutschen Bürokratismus wurde leider nie von den Aliierten an seiner Wurzel gepackt und mit 'Stumpf und Stiel' herausgerissen. Ob Demo oder Parade, für den deutschen Bürokratismus sind beides nur 'einzudämmende Übel' einer noch nicht 'perfektionierten Staatsmacht' ...