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Kommentar Loveparade-TragödieAugen zu und durch

Kommentar von Andreas Wyputta

Druck, die Loveparade stattfinden zu lassen, kam allen Seiten. Jetzt darf es nicht bei einem möglichen Bauernopfer bleiben.

W arnungen gab es im Vorfeld viele: Nicht nur von ortskundigen Ravern, die vor dem Duisburger Tunnel als potenzieller Todesfalle warnten, sondern auch in der Verwaltung, bei Feuerwehr und Polizei. So groß waren die Bedenken, dass die letztgültige Genehmigung für die Veranstaltung erst am Samstagmorgen erteilt wurde, als schon die ersten zehntausend Besucher auf dem Weg zu dem Riesenrave waren.

Zu den Kritikern gehörte auch Bochums Expolizeipräsident Thomas Wenner: Er hatte bereits ein Jahr zuvor mit seinem Veto dafür gesorgt, dass die Loveparade in seiner Stadt abgesagt wurde. Viel zu klein für den Technotrubel seien die mittelgroßen Städte des Ruhrgebiets, befand der Polizist - zu schmal die Straßen, zu klein die Plätze, zu eng die Bahnhöfe. Wegen seiner Einwände musste sich Wenner damals als Sicherheitsfanatiker und Spaßbremse beschimpfen lassen. Seinen Kritikern antwortete er in einem offenen Brief, der mit den Worten endete: "Überleben ist wichtiger."

Dass Bochum die Loveparade im Jahr 2009 abgesagt hatte, steigerte den Druck auf Duisburg, diesmal keinen Rückzieher zu machen. Zumindest die Loveparade 2010 müsse unbedingt stattfinden, befand man in der Landesregierung, alles andere wäre "schlecht für das Image des Ruhrgebiets". Druck machten auch die Organisatoren von "Ruhr.2010". Trotz eines äußerst knappen Etats von gerade einmal 60 Millionen Euro wollte man nicht nur die Kulturhauptstadt Essen, sondern mit ihr gleich das ganze Revier glänzen lassen und europaweit als "unkonventionelle Metropole im Werden" zeigen. Dafür brauchte man kostengünstige Megaevents wie die Loveparade in Duisburg, die "schöne Bilder" liefern sollten.

Der Druck hatte Erfolg: Skeptische Polizeipräsidenten wie Duisburgs ehemaliger Polizeipräsident, der wie Wenner Sicherheitsbedenken gegen die Raves im Ruhrgebiet geltend gemacht hatte, wurden in den Ruhestand befördert; zuvor hatte der Duisburger CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Mahlberg seine Ablösung gefordert.

Duisburgs Oberbürgermeister hat das Desaster in Kauf genommen. Seinen Rücktritt fordern immer mehr Menschen, nicht nur im Ruhrgebiet. Doch bei diesem Bauernopfer darf es nicht bleiben. Restlos geklärt werden muss, wer noch dafür verantwortlich war, dass in Duisburg 20 Menschen sterben mussten.

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Inlandskorrespondent
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4 Kommentare

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  • SW
    Schon Wieder

    Verantwortlich sind die Protagonisten dieser Leichen- pardon Loveparade. Leider zählt dazu auch diese Zeitung. Reflektiert mal selbstkritisch eure Überschriften der letzten Jahre zu diesem Thema...

  • P
    Piet

    Mega-Event? Mag schon sein.

    Aber Imageverbesserung durch die Love Parade?

     

    Ick weeß nich' - die Love Parade ist doch genauso Unterschicht wie Tattoos, Malle und Big Brother.

  • A
    architect

    Wieviele Menschen passen in welcher Zeit durch 20,00m? Ich hörte was von 12Stunden und habe das mal überprüft. 1m pro Mann und Frau ist der seriöse Ansatz und baurechtlicher Standard, also 20 gleichzeitig. 0,63m ist das durchschnittliche Schrittmass, macht bei 1,5 Sekunden pro Schritt, was ein vorsichtiger Ansatz ist aber realistisch, weil es ja auch langsame gibt, gerundet 2,3810 Sekunden pro Meter. 300.000, gemäss der Veranstalterplanung, leider übertroffen, durch 20 Personen gleichzeitig mal 2,3810 Sekunden=35.715 Sekunden=595.25 Minuten=9.92083Periode Stunden. Will damit sagen, und so hattet Ihr das ja in Eurer gestrigen Ausgabe auch schon angedeutet, die Katastrophe, die beim Eingang womöglich noch hätte verhindert werden können wäre zum Ende der Veranstaltung zwangsläufig gewesen. Die NRW Versammlungsstättenverordnung sieht für Versammlungsstätten im Freien und für Stadien 1,20m Fluchtbreite je 600 Personen vor, heisst für 300.000 insgesamt 600m. Waren die ausgewiesen, offenbar nicht. Und mal eine Frage an die Damen und Herren im Bauaufsichtsamt, wieviel Eingangsbreite würden Sie denn im Stadion zulassen, wenn Tokyo Hotel Kàmen und die Hütte ausverkauft wäre. Ich hoffe, die o.g. Textaufgabe nimmt sich der eine oder andere Mathelehrer für die 6.Klasse nach den Ferien vor, verbunden mit dem Hinweis, das Mathe wichtig ist und eine ausreichend rechtzeitige Kalkulation Menschen vor grossem Unglück bewahren kann. Mit freundlichen Grüssen.

  • S
    stef69

    Der Bundestagsabgeodnete und CDU-Kreisvorsitzende Thomas Mahlberg forderte vom NRW-Inneminister, "Duisburg von einer schweren Bürde zu befreien" und den damaligen Polizeichef Rolf Cebin abzusetzen - nur weil dieser zuvor Bedenken wegen erheblicher Sicherheitsmängel äußerte.

     

    Alleine schon die Formulierung "von einer schweren Bürde befreien" zeugt von allerschlechtestem Stil; eine solch abwertende Herabsetzung und Häme gehört sich einfach nicht - schon gar nicht für einen Politiker und Bundestagsabgeordneten.

     

    Wäre der ehemalige Polizeichef noch im Amt, hätte er sich möglicherweise mit seinen zweifelsohne richtigen Einschätzen ggf. durchsetzen und die Verantwortlichen von einer Absage der Loveparade überzeugen können. Rolf Cebin musste aber vorher gehen.

     

    Ein Thomas Mahlberg ist indes weiterhin in Amt und Würden und vertritt sogar das deutsche Volk - also uns alle - im Bundestag.

     

    Seine Beileidsbekundungen und tröstenden Worte auf der Internetseite der Kreis-CDU können bei mir nur noch grenzenlose Wut, Zorn und Trauer hervorrufen.