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Kommentar LinksparteitagTrompetenstöße aus der Wagenburg

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Linkspartei darf nicht nur auf radikal setzen - denn dann manövriert sie sich ins Aus.

D ie Linkspartei, hieß es früher, sei erst dann endgültig im Westen angekommen, wenn sie sich in Nordrhein-Westfalen etabliert habe. Denn das sei der Beweis, dass es sich bei ihr nicht um ein flüchtiges Protestphänomen handele, sondern um eine wetterfeste Partei in Ost und West.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Es sieht so aus, als hätten Lafontaine & Co dies geschafft. Zumindest ist es zum Greifen nah. Die Partei gewinnt in NRW zügig neue Mitglieder. Laut Umfragen kann sie im Ruhrgebiet, einst Herzkammer der SPD, mit 17 Prozent rechnen. Doch wo der Erfolg ist, wächst auch das Gefährliche, sprich: Verbalradikalismus und Selbstisolierung. Ein Symbol dafür ist die Wahl von Sahra Wagenknecht, die die Linkspartei auf ihrem Parteitag in Essen mit einem spektakulären Ergebnis auf ihre Bundestagsliste hievte. Wagenknechts Erfolg in NRW ist eine Art Folgeschaden der Finanzkrise. Viele in der Linkspartei haben das nahe liegende Gefühl, dass ihre Fundamentalkritik am Kapitalismus richtig war. Deshalb soll die Linkspartei jetzt ganz laut und ganz radikal sein. Ja, sie muss es sogar sein, weil sonst ihre Stimme im Chor der Finanzmarktregulierer unterzugehen droht.

Dieser Logik folgt Wagenknechts Wahl in NRW. Die Repräsentantin der Kommunistischen Plattform garantiert eine Art Copyright auf Kapitalismuskritik. Da nimmt man es mit ihrem diffusen Verhältnis zur DDR nicht so genau. Doch wenn die Linkspartei nur auf radikal setzt und allen ins Ohr trompetet, es schon immer gewusst zu haben, wird sie sich ins Aus manövrieren. Sie muss gerade in der Krise beides tun: zeigen, dass sie sich substanziell von Merkel und Steinmeier unterscheidet und konkrete Lösungen vorschlagen.

In Essen dagegen dominierte die Rhetorik des großen Nein - gegen Kapitalismus, Nato und überhaupt. Das mag taugen, um die Partei für den Augenblick zu einen. Zum stabilen Machtfaktor wird sie so nicht. Ulla Jelpke, Wortführerin der radikalen "Antikapitalistischen Linken", warnte in Essen vor einer "Sozialdemokratisierung". Das klingt nicht selbstbewusst und aufstrebend. So redet man in der Wagenburg.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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7 Kommentare

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  • FD
    Frank Dahmen

    Die Partei steht am Scheideweg: Kehrt irgendwann Realismus ein, dem eine Selbstidentifikation mit der Bundesrepublik als unserem Gemeinwesen, welches es zu gestalten gilt, vorausgeht? Oder gewinnen die Wagenknechts und DDR-Eliten wieder Oberhand, die 20 Jahre im Schmollwinkel gesessen haben und jetzt ihre große Stunde gekommen sehen?

    Wie eine Minderheit, immer noch glauben kann, eine Mehrheit zu gewinnen, indem man das bundesrepublikanische Modell gegen das DDR-Modell austauscht, wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

    Die Indoktrination ging doch tiefer, als man gemeinhin vermutet. Die Möglichkeit einer unabhängigen Historikermeinung wird überhaupt nicht erst in Erwägung gezogen. Nein, man hängt Verschwörungstheorien an. In NRW kann der Schuss so nur nach hinten losgehen und DIE LINKE muss aufpassen, dass ihr dies in anderen Bundesländern nicht auch geschieht. Wie wohltuend darf man dagegen das Wirken der Sachsen im Prozess der Geschichtsaufbearbeitung empfinden.

  • B
    berliner

    Das ist mal ein wirklich unnötiger Kommentar von unberufener Stelle.

    Man kann ja über Wagenknechts Verhältnis zur DDR sagen was man will, aber alles jenseits der einseitigen Totalverdammung als diffus zu markieren ist mehr als schwach. Das Wort "differenziert" wäre auch möglich gewesen, aber das klingt ja nicht so schön negativ wertend.

    Im Übrigen hat Frau Wagenknecht einiges mehr zu bieten, als DDR-Verteidigung und hohle Sprüche. Die Frau hat Bücher geschrieben in denen inhaltlich wesentlich mehr steht als in so manchen rot-grünen Memoiren, von der Richtigkeit ihrer Analyse mal ganz zu schweigen.

     

    Wozu dient dieser Kommentar? Er ist von vorne bis hinten Ausdruck der inhaltlichen Nichtbeschäftigung mit dem kommentierten Thema. Der Inhalt des Themas wird nicht erfasst, sondern dient als Anlass liebgewordenen Weltsicht-Klischees zu verbreiten. "Wagenburg" wird als Negativsynonym für einen Ort von Menschen mit eingeschränkter Weltsicht benutzt und Wagenknechts Wahl ein Schaden, den uns die Finanzkrise zu allem Übel auch noch einschenkt.

    Total hohl.

  • HR
    Helmut Ruch

    Irgendwo muss man den journalistischen Meißel doch ansetzen können, um die LINKE zu spalten! Nach diesem Motto läuft die taz-Berichterstattung über die ungeliebte Partei. War bisher Oscar Lafontaine das liebste Hassobjekt der taz-Schreiber, so wächst jetzt Sarah Wagenknecht in diese Rolle. Dazu muss man sich natürlich nicht mit den von den zu verleumdenden Personen vertretenen politischen Thesen beschäftigen, es reichen pauschale Verdächtigungen. Wagenknecht habe "ein diffuses Verhältnis zur DDR" (Reinecke teilt vermutlich das einiger CDU-Scharfmacher von der DDR als Reich des Bösen), ihre Wahl durch eine große Mehrheit der Delegierten sei dem "Gefühl" geschuldet, dass ihre Kapitalismuskritik richtig gewesen sei.

    Das es noch Menschen gibt, die politisch konsequent sind und sich nicht durch die Versuchung der Macht korrumpieren lassen (siehe Interview mit Lafontaine vom 18.3., geführt von Hermann/Reinecke: "Die Linkspartei tut aber nichts, um Rot-Rot-Grün zu ermöglichen. Die SPD verlangt, dass die Linkspartei das Nein zu Nato und zum Lissabonvertrag aufgibt. Herr Lafontaine, Sie werden die Nato nicht auflösen. Wäre es nicht klug, dort flexibler zu sein?"), dass es Menschen so unterschiedlicher Herkunft wie Lafontaine und Wagenknecht sind, die sich in der Linken zusammenfinden und dem neoliberalen Machtkartell Widerstand entgegen setzen, beunruhigt die herrschenden Kreise und ihre journalistischen Hilfstruppen.

    Wer sich über Sarah Wagenknecht informieren will, sehe sich auf Youtube ihren Vortrag zur derzeitigen Wirtschaftslage an:

    youtube.com/watch?gl=DE&hl=de&v=7nwFsTXWUkk

    Ihre Analysen liegen deutlich über taz-Niveau; die Frau wird eine Bereicherung des Bundestages!

  • SI
    Siegfried Ißmayer

    Hallo Stefan Reinecke!

     

    Selbstverständlich muss gegenteilige Meinung toleriert werden, aber ich würde mir in einer "alternativen Zeitung" wie es die Die Taz (noch?) ist, schon auch etwas mehr Objektiviität gegenüber alternativen politischen Meinungen und Programmen wünschen, es muss ja nicht gleich "feurige Zustimmung" sein. Dies scheint weder in ihrem Bericht über den Parteitag der Linken in NRW noch in ihrem diesbezüglichem Kommentar gegeben zu sein. Leider ist es heute so, dass Wahlkampf ohne Polemik und ohne Fensterreden nicht stattfindet. Nun gut, man muss das als wahlumworbener Bürger wohl so hinnehmen wie es ist, wenn man nicht gleich zu der großen Partei der Nichtwähler wechseln will. So wie Sie aber den Parteitag der Linken schildern bekomme ich den Eindruck, als hätten die Linken wie alle anderen Parteien nur Worthülsen und Unsinn zu verkünden. Da, werter Herr Reinecke, täuschen Sie sich. Ich bin zwar kein Mitglied der Linken, kenne aber Frau Wagenknecht persönlich (sie könnte meine Tochter sein) und schätze sie als intelligente und mutige Frau, die durchaus brauchbare politische und alternative Vorstellungen, wie auch die gesamte Partei, vorzuweisen hat. Vielleicht sollten Sie sich etwas besser informieren, dann könnten Sie womöglich tatsächlich auf wunde Punkte hinweisen, dann wäre das guter, alternativer und konstruktiver Journalismus, meine ich. Würde doch zur Taz passen - oder?

     

    Mit bestem Gruß

    S. Ißmayer

  • O
    Olaf

    DIE LINKE. gewinnt keine inaktiven Mitglieder hinzu, sondern Menschen die etwas bewegen und verändern wollen. Da ist genug Substanz, um auch konkret zu handeln. Also nichts mit Wagenburg.

  • M
    Max

    Parteien sind keine Wohlfühlclubs für ideologische Reinheit sondern Wahlvereine die Stimmen gewinnen wollen. Dafür muss man Probleme lösen können.

     

    Wenn eine Partei dogmatisch so flexibel ist wie eine Brechstange, ist sie überflüssig.

     

     

    Das hat die Dekadenz der DKP gezeigt.

    Soll es die Linke wiederholen?

  • J
    Jovi

    Was soll dieser Normalo-Appell?

     

    Wenn eine neue Partei genauso regierungsfähig geworden ist wie die alten Parteien, dann ist sie auch schon überflüssig.

     

    Das hat die Dekadenz der Grünen gezeigt. Soll es die Linke wiederholen?