Kommentar Linksextreme Gewalt: Brandanschläge sind hip
Für einen kleinen Teil der linken Szene sind selbst Angriffe auf Menschen kein Tabu mehr. In der Szene muss daher - mal wieder - über die Grenzen legitimen Handelns diskutiert werden.
R otlackierte Faschisten. Es ist nicht das erste Mal, dass linksextreme Gewalttäter so bezeichnet werden. Nun aber hat der an sich sehr besonnene Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) den Begriff gewählt, um die Anschläge auf ein BKA-Gebäude in Berlin und auf die Polizeiwache in Hamburg zu klassifizieren.
Die einen werden Körting nun heftig auf die Schulter klopfen, die anderen werden toben, weil er Linke und Rechte in einen Topf werfe. Genauso einfach aber macht es sich, wer umgekehrt mit dem "Links ist nicht gleich rechts"-Argument jede Debatte über linksextreme Gewalt abzuwürgen versucht. Denn längst steht fest: Seit langem gab es nicht mehr so viele und harte Attacken wie derzeit.
Bestes Beispiel sind die Brandanschläge auf Autos. Zwar kann niemand sagen, ob 80, 50 oder nur 30 Prozent davon tatsächlich einen politischen Hintergrund haben. Doch ihre Zahl ist seit dem G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm unübersehbar gestiegen - und die linke Szene hat ein offenes Ohr für diesen Vandalismus. Brandanschläge gelten als hip. Weil sie so schön die Debatte anheizen. Weil sie fast risikolos sind. Und weil sie Neidgefühle befriedigen.
Dass es dabei - selbst im Sinne der Fackler - reihenweise die Falschen trifft, wird kaum hinterfragt. Noch schlimmer ist der Hamburger Anschlag. Dort wurden Polizisten aus der Wache gelockt, um sie anzugreifen: Selbst der direkte Angriff auf Menschen ist - zumindest für einen kleinen Teil der Szene - kein Tabu mehr.
Innerhalb der linken Szene muss - mal wieder - über die Grenzen legitimen Handelns diskutiert werden. Wer das anderen überlässt, macht sich selbst schon verdächtig, sofern er nur mit einem schwarzen Block gegen Nazis demonstriert. Linksextreme müssen lernen, dass sie nicht nur mit dem Feuer spielen, sondern auch mit der Sympathie gemäßigt Linker. Und die müssen überlegen, was die Kriterien sind - nicht nur für das eigene Tun, sondern vor allem für die Toleranz gegenüber denjenigen, die sie verletzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen