Kommentar Liebl-Urteil: Recht herzlos
Die Geschichte der Liebls zeigt, wie starr, herzlos und blind gegenüber Individualschicksalen das deutsche Ausländerrecht ist.
D as deutsche Ausländerrecht ist nichts, auf das man stolz sein kann, im Gegenteil. Ungezählt sind die Familien, die es zerstört hat - der deutschen Familie Liebl aus Togo droht Ähnliches: Zu befürchten ist, dass nach der Abschiebung von Gerson Liebl bald seiner Frau Ginette und ihrem achtjähriger Sohn Gergi dasselbe droht.
Der Fall ist erschütternd. Aber bei aller berechtigten Empörung ist auch Vorsicht geboten. Der Vorwurf etwa, in der Bundesrepublik sei das Ausländerrecht brutaler als anderswo, wäre in einem internationalen Vergleich zu überprüfen. Klar ist: Dieses Recht ist sehr starr, meist herzlos und blind gegenüber individuellen Schicksalen, die nicht ins Rechtsschema passen. Doch jedes Rechtssystem ist so angelegt. Die Starre und Strenge des Rechts kann theoretisch und im besten Fall sicherstellen, dass alle vor Justitia gleich sind: Arm und Reich, Mächtig und Machtlos, Schwarz und Weiß.
Das aber ist selten. Der Fall Liebl zeigt vielmehr die fatale Seite dieses Rechts: Es kann Menschen psychisch kaputtmachen oder zumindest stark beeinträchtigen. Ginette und Gerson Liebl stehen exemplarisch für nach Deutschland geflohene Menschen, die dieses bürokratisch-kalte Rechtssystem mental überfordert, ja geschädigt hat. Gerson wie Ginette Liebl haben die engagierte, vor allem juristische Hilfe etwa durch Pro Asyl und andere Organisationen nur halbherzig oder gar nicht genutzt - in dem Wahn, es genüge doch, ihre tragische Geschichte zu erzählen und auf ihrem Recht zu bestehen. Dass dies aber nicht ausreichen wird, ist abzusehen. Wer als Migrant oder Flüchtling hierher kommt, muss eine fast unmenschliche Stärke, Gelassenheit und Sturheit haben, um das Asyl- oder Bleiberechtsverfahren durchzustehen. Den Liebls fehlt dies. Es ist ihnen kein Vorwurf daraus zu machen. Die Schuld trägt das Ausländerrecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“