Kommentar Krieg im Gazastreifen: Einseitige Nahostpolitik
USA und Europäer verhalten sich in dem Konflikt zwischen Israel und Hamas auf skandalöse Weise ignorant. Aushungern und Bombardements lösen Probleme im Nahen Osten nicht.
Karim El-Gawhary ist Nahost-Korrespondent der taz
"Hilflos" ist das Adjektiv, mit dem sich die skandalöse internationale Reaktion auf den Krieg im Gazastreifen am besten beschreiben lässt. In den ersten Tagen hatte man ganz geschwiegen und einfach in die andere Richtung gesehen. Am Samstagabend kamen dann vom UN-Sicherheitsrat die üblichen Floskeln: Vom Ende der Gewalt auf allen Seiten war da die Rede. Schluss der Pflichtveranstaltung. Konsequenz: keine. Brüssel forderte Israel auf, sich zu "mäßigen". Der US-Vertreter im UN-Sicherheitsrat setzte sogar noch einen drauf und sah einen deutlichen Unterschied zwischen terroristischen palästinensischen Raketenangriffen, die auf Zivilisten zielen, und israelischer "Selbstverteidigung". Kann man so einseitig Nahostpolitik betreiben?
Eigentlich wären echte politische Initiativen angesagt. So wäre etwa auszuloten, unter welchen Bedingungen die Hamas die Raketenangriffe auf israelisches Gebiet einstellen würde. Doch die neueste Hamas-Offerte für einen Waffenstillstand wurde bisher ignoriert, obwohl die Hamas, anders als früher, kaum noch Bedingungen gestellt hatte. Vielleicht ließe sich die Hamas sogar in einen politischen Prozess einbinden. Da aber weder die USA noch die Europäer mit Hamas sprechen, gibt es nichts auszuloten. Offenbar glaubt man immer noch ernsthaft, die Hamas ignorieren zu können und nur mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas für das Westjordanland einen Frieden zu schließen, während man mit dem Gazastreifen einen Krieg führt.
Unteressen hofft Israel erneut, die Hamas militärisch auszuschalten. Alternativ träumt man davon, die Einwohner Gazas gegen die Hamas aufzubringen, indem man es mit Aushungern und Bombardements versucht. Dieses Wunschdenken ist schon im Libanonkrieg 2006 gescheitert. Inzwischen ist die Lage dort so verfahren, dass Washington verzweifelt zur kolonialen Kanonenbootpolitik greift. Vergangene Woche wurde ein US-Kriegsschiff als ohnmächtige Drohgebärde vor die libanesische Küste entsandt.
Immer wieder wird die verwegene Idee verfolgt, die Probleme im Nahen Osten militärisch zu lösen. Doch ob im Irak, im Libanon oder jetzt im Gazastreifen: Diese Machtfantasie blieb stets illusorisch.
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