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Kommentar KrankheitsgründeWenn sich das Selbst verweigert

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Psychische Störungen werden immer häufiger, und die Ausfallzeiten sind besonders lang. Müsste sich die Arbeitswelt verändern?

Bild: taz

Barbara Dribbusch bearbeitet die Themen Sozial- und Gesellschaftspolitik im taz-Ressort Inland

Ob bei den Krankschreibungen im Job, bei den Aufenthalten im Krankenhaus oder als Ursache für Frühverrentungen - überall nimmt der Anteil der psychischen Erkrankungen zu. Seelische Störungen sind heute keine Abweichung mehr, sondern Normalität. Das ist neu.

Warum, das geht aus einem aktuellen Bericht der Gmünder Ersatzkasse zu diesem Thema nicht hervor. Etwas spekulativ muten die Begründungen mancher Sozialmediziner dafür an. Einmal heißt es, das Arbeitsleben sei insgesamt stressiger geworden, und es litten mehr Menschen unter Existenzangst als früher. Außerdem würde die Diagnose einer Depression oder einer Angststörung heute von Ärzten eher gestellt, weil die seelische Erkrankung nicht mehr so stigmatisiert sei wie ehedem. Und dann gibt es noch Kritiker, die fürchten, dass sich Menschen heute einfach leichter auf eine psychische Störung berufen können, um etwa dem Druck in der Jobwelt zu entgehen.

An all diesen möglichen Begründungen ist etwas dran - doch zu jeder gibt es auch das passende Gegenargument. Beispielsweise erklärt die These, die heutige Jobwelt sei so stressig, nicht, warum so viele Arbeitslose erkranken. Auch die Sache mit der Existenzangst muss nicht stimmen: In Kriegszeiten etwa, so hat die Forschung im Bosnienkrieg ergeben, ging es manchen Angsterkrankten besser, weil ihre tiefe existenzielle Verunsicherung von der Gemeinschaft geteilt - und daher von den Betroffenen nicht mehr als so unnormal empfunden - wurde.

Verlässlicher als die Begründungen für solche Dysfunktionen sind die Erfahrungen, was die Menschen entlastet: Guttut eine Führung, die Mitarbeiter motiviert und Vielfalt akzeptiert. Guttun Rückzugsmöglichkeiten im Arbeitsalltag. Wenn nichts mehr geht, ebnet die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen zumindest den Rückweg. Die Ausfallzeiten bei psychischen Störungen sind besonders lang - sie bringen daher immer auch eine Entschleunigung in die Jobwelt. Die Seele verweigert sich ihrer Verwertbarkeit. Das hat auch sein Gutes.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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