Kommentar Krankenkassenüberschüsse: Mit Kranken gehandelt
Die Überschüsse der Krankenkassen fließen in den Bundeshaushalt zurück. Gleichzeitig wird die unsoziale Pflegereform vorangetrieben.
D en Vorsitz seines Landesverbands in Nordrhein-Westfalen hat Gesundheitsminister Bahr (FDP) ausgerechnet an einen vermeintlichen Freund verloren: Das haut rein.
Aber in der Berliner Bundespolitik, da darf Bahr sein Gesicht wahren: Im Streit über die Verwendung der milliardenschweren Überschüsse aus dem Gesundheitsfonds hat der CDU-Bundesfinanzminister den Liberalen Bahr jetzt doch nicht so schlimm vorgeführt, wie der zuletzt fürchten musste: Schäuble nimmt nur so viel Geld aus dem Gesundheitsfonds, wie ihm ohnehin zusteht.
Die 2 Milliarden Euro, mit denen jetzt der Bundeshaushalt konsolidiert werden soll, entsprechen der Summe, die eingestellt worden war, um einen etwaigen Sozialausgleich zu finanzieren, sollten die Zusatzbeiträge der Krankenkassen steigen. Das Gegenteil ist der Fall. Folglich ist es konsequent, dass Schäuble dieses Geld, und nur dieses, zurückfordert.
ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz.
Inkonsequent, ach was, sozialpolitischer Hohn dagegen ist der zweite Teil des Kuhhandels: Im Gegenzug kriegt Bahr ein bisschen mehr Geld für seine Pflegereform. Die aber ist vom Ansatz her falsch, weswegen sie durch zusätzliche Finanzmittel nicht besser werden kann.
Für Zusatzversicherungen besteht von Gesetzes wegen keine Pflicht zum Vertragsabschluss. Folglich können sich die privaten Versicherungsunternehmen ihre Kunden nach Gutdünken auswählen. Oder für die Unerwünschten so horrende Prämien verlangen, dass diese Kostenintensiven freiwillig Abstand nehmen.
Faktisch ist damit aber ausgerechnet jene Gruppe von der staatlichen Subvention ausgeschlossen, für die der Staat eine besondere Fürsorgepflicht hat: Menschen mit dem statistisch höchsten Pflegerisiko, chronisch Kranke, Arme und Alte. Das ist nicht nur sozialpolitisch verheerend, sondern möglicherweise verfassungswidrig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?