Kommentar Kosovo: Scheinbar ruhig
Bewaffnete Konflikte sind möglich. Doch letztlich werden die Serben sich mit der Unabhängigkeit des Kosovo abfinden müssen.
W ahrscheinlich geht die Strategie von USA und EU auf: Indem alle Politiker und Militärs mögliche Gefahrenszenarien herunterspielten, scheint die Lage tatsächlich ruhiger. Die Albaner sind zufrieden, seit klar ist, dass Kosovo in seinen Grenzen unabhängig werden soll. Und die Serben im Kosovo haben ihre Drohung fallen lassen, sich selbst vom Kosovo unabhängig zu erklären, und beschränken sich darauf, alle Institutionen des neuen Staates sowie die EU-Mission zu boykottieren.
Erich Rathfelder, 60, betreut seit über 15 Jahren in dem Dreieck Berlin, Split, Sarajevo die Region Südosteuropa. Sein jüngstes Buch: "Schnittpunkt Sarajevo. Bosnien und Herzegowina zehn Jahre nach dem Krieg" (Schiler Verlag, 2006).
Natürlich sind bewaffnete Zwischenfälle möglich. Nicht nur für radikale, nationalistische Serben ist die Unabhängigkeit des Kosovo unfassbar und muss verhindert werden. Aber wie? Wollen sich die Mitglieder der Zar-Lazar-Freischärler und andere radikale Gruppen gegen die Militärmaschinerie der Nato stellen und einen aussichtslosen Kampf beginnen? An der politischen Entscheidung in Brüssel und Washington wird auch individueller Terror nichts mehr ändern.
Die serbische Armee selbst hat abgewunken. Sie will mit der KFOR kooperieren. Und Russland kann, auch, wenn es dies wirklich wollte, keine Truppen nach Serbien bewegen, wie von dem radikalen Politiker Nikolic gefordert, weil Serbien nach Osten hin von Nato-Staaten umgeben ist. Auf diplomatischer Ebene jedoch hat Serbien noch nicht ganz aufgesteckt.
Die Vereinten Nationen, deren Vorschlag für die Lösung des Kosovokonfliktes, der Ahtisaari-Plan einer begrenzten Souveränität, nun umgesetzt wird, können angesichts des Vetorechtes der Russen im Weltsicherheitsrat keine klare Position entwickeln. Das schafft Unsicherheiten und gibt Raum für erbitterte Diskussionen über das Völkerrecht. Serbien hat schon angekündigt, vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu ziehen und die Kosovoentscheidung anzufechten. Dieses Recht hat es.
Letztlich wird Serbien sich mit der Entscheidung abfinden und sich anstrengen müssen, selbst EU-Mitglied zu werden. Doch gerade dies ist strittig. Der politische Konflikt wird in Belgrad zwischen Proeuropäern und Nationalisten selbst ausgetragen werden müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid