Kommentar Konjunkturpaket: Gefahr der Klientelpolitik

Es wird Regierungsmilliarden regnen. Aber statt der üblichen Steuergeschenke für den Mittelstand sollte der Staat in Infrastruktur investieren und den Konsum der untersten Schichten fördern.

Ist ein riesiges Konjunkturpaket wirklich nötig? Noch immer haftet der Finanzkrise etwas Virtuelles an - sie scheint auf einem fremden Planeten stattzufinden, der von seltsamen Wertpapieren und schwarzen Löchern in Bankbilanzen heimgesucht wird. Doch im gefühlten Alltag ist die Krise bisher kaum angekommen. Da gibt es noch immer Firmenchefs, die stolz mitteilen, dass ihre Auftragsbücher voll seien. Auch die allermeisten Angestellten blieben bisher von Kurzarbeit verschont. Auf viele wirkt es daher übereilt, Milliarden in ein Konjunkturpaket zu stecken.

Doch dieses Konjunkturpaket wird kommen. Und zwar schon sehr bald. Denn der internationale Druck auf Deutschland ist enorm. Ob Frankreich, Großbritannien oder die USA: Sie sehen nicht ein, warum Deutschland nicht endlich zur Kenntnis nehmen will, dass es die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist - und also globale Verantwortung trägt.

Den Ärger der Weltgemeinschaft könnte Kanzlerin Merkel vielleicht noch ignorieren, denn stoisch ist sie ja. Doch den Abschwung wird sie nicht übersehen können, der demnächst mit voller Wucht einsetzt, weil die deutschen Exportmärkte weltweit wegbrechen. Und sobald die Arbeitslosenzahlen steigen, wird die Kanzlerin ein gigantisches Konjunkturpaket präsentieren, das sie dann zur staatsfraulichen Pflicht erklärt. Schließlich will sie im September eine Bundestagswahl gewinnen.

Es wird also Regierungsmilliarden regnen. Auf diesen Verteilungskampf gilt es sich vorzubereiten. Denn die Gefahr ist übergroß, dass wieder nur Klientelpolitik betrieben wird. Man sieht sie schon kommen, die Steuergeschenke für den Mittelstand. Dabei wäre diese langfristige Angebotspolitik das glatte Gegenteil von einem kurzfristigen Konjunkturprogramm, das die Nachfrage stimulieren soll.

Wie ein sinnvolles Konjunkturprogramm für Deutschland aussehen könnte, hat der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz längst beschrieben: Der Staat muss in die Infrastruktur investieren und den Konsum der untersten Schichten fördern. Aber wahrscheinlich glaubt Finanzminister Peer Steinbrück erneut, es besser zu wissen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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