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Kommentar KoalitionsnachtBetreutes Regieren

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Die Koalition bewegt sich mit ihren Beschlüssen in einem Paralleluniversum. „Lebensleistungsrente“ ist in ihrer derzeitigen Schwammigkeit der blanke Hohn.

A lle sind gut betreut worden in dieser Koalitionsnacht. Jede Partei hat ihr persönliches Betreuungsgeld erhalten: die CSU ihre Herdprämie, die FDP die Abschaffung der Praxisgebühr, die Union ihre „Lebensleistungsrente“. Der kleine Haken: Die Koalition bewegt sich mit ihren Beschlüssen in einem Paralleluniversum. Die Menschen, die von ihr regiert werden, stehen und staunen. Über den angeblichen „Durchbruch“. Die letzten wichtigen Beschlüsse, die sie uns WählerInnen für diese Legislatur mitgeben.

Die Praxisgebühr wird abgeschafft. Das ist schön, denn sie hat die erwünschte Lenkungswirkung nicht gezeigt. Der Effekt: 40 Euro pro Jahr gespart. So viel wie einmal mit allen ins Kino gehen. Schön. Die „Lebensleistungsrente“ dagegen klingt in ihrer derzeitigen Schwammigkeit wie der blanke Hohn.

Da wird also die „Lebensleistung“ der Menschen gewürdigt. Aber nicht die der Mütter, die abwechselnd Kinder und Eltern gepflegt haben. Sie werden die erforderlichen 40 Rentenbeitragsjahre vermutlich nicht zusammenbekommen. Heute kommen Neurentnerinnen aus dem Westen Deutschlands auf ganze 27 Beitragsjahre. Die Idee, dass wenigstens den älteren Müttern drei Beitragsjahre pro Kind gutgeschrieben werden: zum Prüfauftrag geschrumpft.

Bild: taz
Heide Oestreich

ist Inlandsredakteurin der taz.

GeringverdienerInnen, die an der Kasse sitzen oder Hotelzimmer putzen, werden ebenfalls kaum in den Genuss der neuen Rente kommen. Denn eine weitere Bedingung ist, dass man zusätzlich eine private Rentenversicherung abgeschlossen hat. Nur ein Viertel der deutschen Haushalte haben eine solche Versicherung – und gerade bei den Ärmeren fehlt sie meist. Und mit dem verunglückten Namen „Lebensleistungsrente“ drückt die Regierung ungewollt aus, wie wenig ihr die „Lebensleistung“ ihrer BürgerInnen wert ist – „Zuschussrente“ war da ehrlicher.

Von ganz weit weg aber kommt die Einführung des Betreuungsgeldes. Zwar sind viele Eltern der Meinung, dass ein ein- oder zweijähriges Kind noch nicht in die Kita gehört. Aber auf die Elternprämie verzichten sie dennoch: Nur 19 Prozent wünschten sich in einer Emnid-Umfrage von Ende Oktober das Betreuungsgeld. 1,2 Milliarden Euro werden so verteilt – während die Kommunen nicht wissen, wie sie ihre Kitas bezahlen sollen.

In dem Universum der Koalition kommt das alles nicht vor. Mit ihr existieren dort nur reiche Privatleute, die private Nannys haben und private Versicherungen abschließen. Die Nanny aber verschwindet jeden Abend durch ein Wurmloch (das ist ein Verbindungskanal zwischen zwei Universen) – zu uns anderen, ins Universum der Altersarmut.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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6 Kommentare

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  • H
    Holly

    Warum werden auch hier wieder nur Kassierinnen und Putzfrauen als Beispiel für Geringverdiener genannt? Das geht an der gesellschaftlichen Realität vorbei, es werden doch viel breitere Schichten von der zukünftigen Altersarmut betroffen sein. Ich bin Akademikerin, festangestellt bei einem größeren Unternehmen in der Kundenbetreuung und habe trotzdem unter 2500 Euro Brutto, und zähle somit zu den "Geringverdienern", die nach 35 Jahren mit 688 Euro Rente rechnen können. Was den Staat nicht hindert, mich auch noch für meine demente Mutter zum Elternunterhalt zu verpflichten.Wie soll ich da für meine eigene Altersvorsorge auch noch Geld zurücklegen?

  • WW
    Wolfgang Werkmeister

    6.11.12Passt die Krise vor den Wahlen nicht mehr ins Bild der Koalition?Die Ergebnisse des Koalitionsgipfels erscheinen auf den ersten Blick nobel. Doch, sind die Kosten gegenfinanziert? Wie hämmerte mir Muttern ein? Spare in guten Zeiten, dann musst du in den Schlechten nicht hungern. War Krise wirklich gestern? Der Schwachpunkt einer Demokratie ist, dass die Parteien mit immer neuen Verschuldungen auf Wählerfang gehen. Das nenne ich Raubeinkapitalismus. So baute sich in der demokratisch geprägten Welt ein Schuldenberg auf, der sich seit über 60 Jahren immer höher schaufelt. Selbst vermeintlich reiche Staaten wie Japan und die USA können ihre Staatsdefizite nur noch ausgleichen, in dem sie immer mehr Kapital über die Finanzierung per Notenpresse in den Weltfinanzkreislauf spülen. So droht uns eine weltweite Inflation, denn Geld, das in die Welt hinausspaziert, lässt sich nur noch schwerlich einfangen, es sei denn über harte Sparzwänge, welche die Wirtschaft extrem in die Knie zwingt. Irgendwann ist der Zenit erreicht. Es reißt der Faden der Schuldenprolongation. Griechenland könnte nur der Vorhof gewesen sein, wenn auch deutsche Politiker verblendet so weiterwursteln.Wolfgang Werkmeister,Eschborn

  • I
    Irene

    http://www.deutscher-frauenring.de/organisation/landesverbaende-ortsringe/niedersachsen/celle/unsere-arbeit/betreuungsgeld

    "Das Betreuungsgeld war bereits während der Großen Koalition beschlossen worden".

     

    Ich fühle mich echt veräppelt und manipuliert, wenn von Opposition und Journalisten so getan wird, als hätte die SPD immer tapferen Widerstand gegen das Betreuungsgeld geleistet. Wie wär´s denn da mal mit kritischen Nachfragen an die SPDler , die jetzt klagen möchten?

  • DT
    Dr. Torsten Ihle

    Betreutes Kommentieren

     

    Hallo Frau Oestreich, bitte etwas nachdenken, bevor hier dumpf abgelästert wird.

     

    Erstens, wir reichen Privatleute haben natürlich eine private Krankenversicherung, da mussten wir noch nie Praxisgebühr zahlen. Also keine Entlastung für uns.

    Zweitens müssen gerade wir im Gegensatz zu den Hartz 4 Empfängern unsere Kinder in den Kindergarten bringen, der sonst wegfallende Verdienst der Ehefrau ist bekanntlich bei "Gutverdienern" die höchste mit dem Kind einhergehende finanzielle Belastung.

    Drittens verlässt sich niemand von uns auf die Staatsrente (Beitragsbemessungsgrenze usw.) - ob es da Zuschuss gibt oder nicht ist unwesentlich.

     

    Also - für "uns" sind das keine Geschenke, kommen sie doch mal durch's Wurmloch rübergekrochen und schauen sie sich das Leben an - wenn Sie nicht wieder "mit allen" im Kino sind. Apropos "alle" - wenn das nicht alles nur Kinder sind, gibt es auch mehr Ersparnis bei der Praxisgebühr.

  • M
    Martinus

    Ein lächerlicher "Hauptsache Dagegen"-Artikel ohne jede Substanz, dazu eine langweilige, unoriginelle Überschrift - wie kann man so etwas denn veröffentlichen? Gibt es in der taz gar keine Reaktion mehr? Oder ist das mehr wie so eine Art kollektiver Blog, wo jeder ungefiltert seinen Unfug verkünden kann?

     

    Es macht mich richtig traurig, was aus der taz geworden ist, im Studium vor zehn Jahren habe ich die echt gerne gelesen - im der BWL-Bibliothek war ich immer der einzige, der die taz gelesen hat. Und jetzt dieses peinliche Niveau. Schlimm.

  • N
    naseweiser

    Möchte nicht wissen , wie viele von den Altersarmen ihr Leben lang die CDUCSU gewählt haben . Ist schon tragisch ...