Kommentar Koalitionsnacht: Betreutes Regieren
Die Koalition bewegt sich mit ihren Beschlüssen in einem Paralleluniversum. „Lebensleistungsrente“ ist in ihrer derzeitigen Schwammigkeit der blanke Hohn.
A lle sind gut betreut worden in dieser Koalitionsnacht. Jede Partei hat ihr persönliches Betreuungsgeld erhalten: die CSU ihre Herdprämie, die FDP die Abschaffung der Praxisgebühr, die Union ihre „Lebensleistungsrente“. Der kleine Haken: Die Koalition bewegt sich mit ihren Beschlüssen in einem Paralleluniversum. Die Menschen, die von ihr regiert werden, stehen und staunen. Über den angeblichen „Durchbruch“. Die letzten wichtigen Beschlüsse, die sie uns WählerInnen für diese Legislatur mitgeben.
Die Praxisgebühr wird abgeschafft. Das ist schön, denn sie hat die erwünschte Lenkungswirkung nicht gezeigt. Der Effekt: 40 Euro pro Jahr gespart. So viel wie einmal mit allen ins Kino gehen. Schön. Die „Lebensleistungsrente“ dagegen klingt in ihrer derzeitigen Schwammigkeit wie der blanke Hohn.
Da wird also die „Lebensleistung“ der Menschen gewürdigt. Aber nicht die der Mütter, die abwechselnd Kinder und Eltern gepflegt haben. Sie werden die erforderlichen 40 Rentenbeitragsjahre vermutlich nicht zusammenbekommen. Heute kommen Neurentnerinnen aus dem Westen Deutschlands auf ganze 27 Beitragsjahre. Die Idee, dass wenigstens den älteren Müttern drei Beitragsjahre pro Kind gutgeschrieben werden: zum Prüfauftrag geschrumpft.
ist Inlandsredakteurin der taz.
GeringverdienerInnen, die an der Kasse sitzen oder Hotelzimmer putzen, werden ebenfalls kaum in den Genuss der neuen Rente kommen. Denn eine weitere Bedingung ist, dass man zusätzlich eine private Rentenversicherung abgeschlossen hat. Nur ein Viertel der deutschen Haushalte haben eine solche Versicherung – und gerade bei den Ärmeren fehlt sie meist. Und mit dem verunglückten Namen „Lebensleistungsrente“ drückt die Regierung ungewollt aus, wie wenig ihr die „Lebensleistung“ ihrer BürgerInnen wert ist – „Zuschussrente“ war da ehrlicher.
Von ganz weit weg aber kommt die Einführung des Betreuungsgeldes. Zwar sind viele Eltern der Meinung, dass ein ein- oder zweijähriges Kind noch nicht in die Kita gehört. Aber auf die Elternprämie verzichten sie dennoch: Nur 19 Prozent wünschten sich in einer Emnid-Umfrage von Ende Oktober das Betreuungsgeld. 1,2 Milliarden Euro werden so verteilt – während die Kommunen nicht wissen, wie sie ihre Kitas bezahlen sollen.
In dem Universum der Koalition kommt das alles nicht vor. Mit ihr existieren dort nur reiche Privatleute, die private Nannys haben und private Versicherungen abschließen. Die Nanny aber verschwindet jeden Abend durch ein Wurmloch (das ist ein Verbindungskanal zwischen zwei Universen) – zu uns anderen, ins Universum der Altersarmut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind