Kommentar Klimagipfel: Vorgetäuschter Führungsanspruch
Es gibt außer dem Fehlen von Ökostrom im Kanzleramt viele Gründe, an der deutschen Führungsrolle in Sachen Klima zu zweifeln. Auch die EU zaudert in Kopenhagen.
Keine Frage: Für das Weltklima ist es egal, ob das Kanzleramt seine Lampen und Computer mit Öko- oder Kohlestrom betreibt. Nicht egal ist diese Frage hingegen für die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin. Schließlich bezeichnet sie Klimaschutz als ihr persönliches Anliegen und betont bei jeder Gelegenheit die deutsche Vorreiterrolle.
Und leider gibt es außer dem Fehlen von Ökostrom viele weitere Gründe, an der deutschen Führungsrolle in Sachen Klima zu zweifeln. Zwar tritt der neue Umweltminister Norbert Röttgen in Kopenhagen durchaus dynamisch auf - allerdings vor allem als Moderator. Inhaltlich haben Deutschland und die EU bisher wenig unternommen, um die festgefahrenen Verhandlungen wieder voranzubringen.
Malte Kreutzfeldt ist Leiter des Ressorts Ökologie und Wirtschaft.
Natürlich haben die Europäer recht, wenn sie China und die USA für ihre starre Haltung kritisieren. Doch auch die EU selbst verzichtet bisher auf neue Angebote und weigert sich noch immer, ihre für 2020 zugesagte Minderung der Kohlendioxid-Emissionen von 20 auf 30 Prozent zu erhöhen, solange andere Länder nicht Ähnliches versprechen. Eine solche Haltung mag aus taktischen Gründen eine Weile nachvollziehbar sein. Wenn die Verhandlungen nun aber wie in Kopenhagen tatsächlich vor dem Scheitern stehen, sollte sich die EU allmählich darauf besinnen, dass Führen definitionsgemäß bedeutet, nicht abzuwarten, sondern sich als Erste zu bewegen.
Beim zweiten Knackpunkt, den langfristigen Finanzzusagen für die Entwicklungsländer, macht die EU ebenfalls keine Fortschritte. Im Gegenteil: Deutschland hat mit seinem Beschluss, die versprochenen Klimagelder auf die ebenfalls schon lange versprochenen Mittel zur Hungerbekämpfung anzurechnen, für große Verärgerung gesorgt. Durch diesen politischen Fehler, der mit der bisherigen Linie der deutschen Entwicklungshilfepolitik bricht, ist viel Vertrauen verspielt worden: Wenn frühere Zusagen so schnell gebrochen werden, wie soll man dann den neuen trauen?
Noch bleiben zwei Tage, in denen die massenhaft anreisenden Staats- und Regierungschefs eine Wende herbeiführen und wenigstens die Voraussetzungen für ein neues Abkommen sicherstellen können. Dominiert jedoch weiterhin die finanzielle Knauserei über die Sorge ums Klima, wird der Klimaschutz scheitern - in Kopenhagen ebenso wie an den Steckdosen des Kanzleramts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestagswahl
Sollten wir strategisch wählen?
Talkshowgast Alice Weidel
Rhetorisches Rollkommando
Debatte um Berufsverbot in Bayern
Rechts außen klappt’s mit der Schule
Hilfe bei der Wahlentscheidung
Darum ist der „Real-O-Mat“ besser als der „Wahl-O-Mat“
Forscherin über Demos gegen rechts
„Das ist kein kurzer Empörungsmoment“
Politologin über Altersarmut bei Frauen
„Rentensystem auf männlichen Lebensverlauf ausgerichtet“