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Kommentar Keine Loveparade-AnklageVersprochenes bleibt uneingelöst

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Die Justiz ist unfähig, auch nur einen mutmaßlichen Verantwortlichen der Loveparade-Katastrophe vor Gericht zu bringen. Das ist ein Skandal.

Den Hinterbliebenen der Loveparade-Opfer bleiben nur noch Trauer und Wut Foto: dpa

S kandalös. Empörend. Ungeheuerlich. Dass das Landgericht Duisburg den Prozess um die Loveparade-Katastrophe abgelehnt hat, dazu fielen einem noch viele Worte ein – und einige davon wären sicherlich justiziabel. Auf die fürchterliche Tragödie folgt die bittere Farce. Fast sechs Jahre nach der Katastrophe in Duisburg ist von der juristischen Aufarbeitung nur noch ein Trümmerhaufen geblieben.

Eine fatale Mischung aus Größenwahn, Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit hat zu der Loveparade-Katastrophe am 24. Juli 2010 geführt. 21 Menschen verloren ihr Leben, mindestens 652 erlitten Verletzungen und Tausende FestivalbesucherInnen wurden traumatisiert.

„Ihnen allen und nicht zuletzt uns selbst sind wir es schuldig, das Geschehene und Unfassbare lückenlos aufzuklären“, hatte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft damals bei der Trauerfeier mit tränenerstickter Stimme gesagt. Man müsse und werde eine Antwort auf die Fragen finden, wer Schuld trage und wer verantwortlich sei, versprach sie.

Das Versprechen ist – zumindest auf juristischer Ebene – uneingelöst geblieben. Immerhin haben die Duisburger Bürgerinnen und Bürger ihren damaligen Oberbürgermeister Adolf Sauerland vor vier Jahren per Abwahl dazu gezwungen, jene politische Verantwortung zu übernehmen, die er partout nicht übernehmen wollte. Die strafrechtliche Aufarbeitung ist hingegen dank des Versagens der Staatsanwaltschaft komplett gescheitert.

Die Entscheidung des Duisburger Landgerichts widerspricht zwar dem Gerechtigkeitsgefühl nicht nur der Hinterbliebenen. Trotzdem war sie leider folgerichtig. War es Fahrlässigkeit, Ignoranz oder Inkompetenz, die Anklage auf einem höchst fragwürdigen Gutachten aufzubauen?

Den Hinterbliebenen der Opfer bleibt nur ihre Trauer – und ihre Wut auf eine Justiz, die sich unfähig gezeigt hat, auch nur einen einzigen mutmaßlich Verantwortlichen für die schrecklichen Geschehnisse vor Gericht zu bringen. Das ist zu wenig.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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12 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Gegen Ende des Artikels im Spiegel wird erwähnt, dass einer der Nebenkläger Individualbeschwerde zum EGMR in Straßburg erheben möchte. Eine solche würde aber ganz offensichtlich am Subsidiaritätsprinzip scheitern: Denn wie oftmals an dieser Stelle erläutert, hat die Nebenklage alle prozessualen Möglichkeiten, die das EEV nach deutschem Recht geboten hätte, konsequent ignoriert. Das konsequente Ignorieren prozessualer Möglichkeiten vor den nationalen Gerichten führt in aller Regel dazu, dass der EGMR in Straßburg eine dort eingelegte Individualbeschwerde am Subsidiaritätsprinzip scheitern lässt.

    Überdies wird seit dem 27. Juli 2020 das Rechtsschutzinteresse weggefallen sein. Denn seit dem 27. Juli 2020 wird nach nationalem Recht die Verjährung aller etwaigen Straftaten im Zusammenhang mit dem Unglück auf der Loveparade eingetreten sein.

    Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Einlegung einer Individualbeschwerde zum EGMR in Straßburg ohne jede Erfolgsaussicht ist und den Eltern der ums Leben gebrachten jungen Leute nur eine zusätzliche, bereits jetzt absehbare, Enttäuschung verursachen wird.

    • @Alexander Würdinger:

      Ich finde, das kann man auch anders sehen. Erstens gibt es für die Nebenklage nach Einstellung des Verfahrens gerade keine prozessualen Möglichkeiten mehr, weshalb das Subsidiaritätsprinzip auch als eingehalten gewertet werden kann. Eventuell muss eine Anhörungsrüge und eine Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG vorgeschaltet werden. Und zweitens gibt es ein Feststellungsinteresse, weshalb zumindest ein Verstoß gegen Menschenrechte festgestellt und Schadensersatz, insbesondere aber Schmerzensgeld beansprucht werden könnte. Der Wegfall des Rechtsschutzinteresses ist ja gerade die Wirkung aufgrund eines verzögerten Verfahrens. Hierbei würde sich die Frage stellen, ob man der Staatsanwaltschaft bzw dem Gericht diese Verzögerung vorwerfen kann. Ein Versuch ist es zumindest wert. Der EGMR sieht derartige Vorgänge aus einer neutraleren Perspektive als ein nationales Gericht.

  • Loveparade-Verfahren: Entscheidung der Staatsanwaltschaft zu dem Vorschlag der Einstellung des Verfahrens

    www.sta-duisburg.n...vom-17_04_2020.pdf

    www.sta-duisburg.n...vom-17_04_2020.pdf

    Abgesehen davon, dass das den Eltern der ums Leben gebrachten jungen Leute auch nicht wirklich weiterhelfen würde, denke ich, dass die Verfolgung etwaiger Regressansprüche gegen die Kanzlei von Gerhart Baum ohne jede Erfolgsaussicht ist.

  • Exakt am 28. April 2016, also vor vier Jahren, ging Herr Prof. Müller sehr ausführlich auf meine Vorschläge, wie die Rechte der Eltern der ums Leben gebrachten jungen Leuite effektiver hätten verfolgt werden können, ein:

    community.beck.de/...rg-2010-fahrl-ssig...

    Das bedeutet, dass meine Vorschläge seit Ende April 2016, also seit vier Jahren, bekannt waren und ernsthaft diskutiert wurden. Angesichts dessen hätte ich eigentlich schon erwartet, dass die anwaltliche Vertretung der Eltern der ums Leben gebrachten jungen Leute ihren Mandanten meinen Alternativvorschlag zumindest erläutert und zur Diskussion stellt. Auf einem anderen Blatt wäre selbstverständlich in jedem Fall gestanden, ob meine Vorschläge dann auch in die prozessuale Tat umgesetzt werden. Das ändert aber nichts daran, dass meine Vorschläge in jedem Fall zunächst hätten erörtert werden müssen.

    Rückblickend, nachdem der Loveparade-Prozess in einem vollständigen Debakel endete, drängt sich die Parallele zur Behandlung einer letalen Krebserkrankung auf: Ich sehe mich, nach dem Ergebnis des Loveparade-Prozesses zu urteilen, darin bestätigt, dass es auf jeden Fall die bessere Alternative gewesen wäre, es mit meinen Alternativvorschlägen aus dem Jahr 2016, also von vor vier Jahren, zumindest zu versuchen. Denn das Ergebnis des Loveparade-Prozesses konnte gar nicht schlechter ausfallen, als es jetzt eingetreten ist.

  • Die Staatsanwaltschaft Duisburg bestellt einen zweiten Gutachter. Der zweite Gutachter wird sich insbesondere zu technischen Fragen äußern (Veranstaltungstechnik, Rettungswege etc.). Das zweite Gutachten wird insbesondere Aufschluss darüber geben, ob die Veranstaltung der Loveparade seinerzeit überhaupt genehmigungsfähig war. Bedenken gegen die Genehmigungsfähigkeit ergeben sich insbesondere aus einem möglichen Verstoß gegen die Vorschriften der Sonderbau-Verordnung NRW.

     

    In rechtlicher Hinsicht ist folgendes beachtenswert: Seit der Tennessee Eisenberg-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.6.2014 verfügen die Betroffenen und Hinterbliebenen über einen echten, vollwertigen Rechtsanspruch auf effektive Strafverfolgung. Dieser Rechtsanspruch auf effektive Strafverfolgung hat zum Inhalt, dass sie ein subjektiv-öffentliches Recht gegenüber der zuständigen Staatsanwaltschaft auf ernsthafte und vollständige Ermittlungsarbeit haben. Dieser Rechtsanspruch ist notfalls auch gerichtlich gegenüber der Staatsanwaltschaft durchsetzbar.

     

    Die Staatsanwaltschaft Duisburg ist deshalb im Fall der Loveparade dem Rechtsanspruch der Betroffenen und Hinterbliebenen nachgekommen und hat eine mögliche gerichtliche Auseinandersetzung mit den Eltern der Getöteten vor dem zuständigen Oberlandesgericht Düsseldorf vermieden.

  • Das ist der tollt Rechtsstaat, der bei jeder Gelegenheit beschworen wird:

    Der Staat ist unfähig, seine Bürger zu schützen (ca. 6.000 offene haftbefehle allein in Berlin);

    träge und inkompetent im Versuch, Rechtsverstöße (außer im Steuerrecht) zu ahnden;

    unwillig, den Geschädigten zügig zu einer angemessenen Wiedergutmachung zu verhelfen;

    willkürlich in der Anwendung des geltenden Rechts ( ähnlich gelagerte Fälle werden in Bayern vollkommen anders beurteilt als in Berlin oder Bremen).

    Dazu kommt noch eine Polizei, deren Mantras "Eigensicherung" und "vorzeitiger Ruhestand" lauten.

    Das ist der Nährboden, auf dem die AfD gedeiht.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Das ist keine objektive Betrachtungsweise. Nicht die Staatsanwaltschaft hat versagt, es waren die weltfremden Richter. Das Gutachten stammt von einem der weltweit renommiertesten Panikforscher. Wenn es dem Gericht nicht genügt hat, warum hat es dann kein weiteres in Auftrag gegeben? Zeit genug hat das Gericht verstreichen lassen und dann so eine Entscheidung!? Folgerichtig ist diese Entscheidung mitnichten - sie ist unsensibel, nachlässig und arrogant.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Bei Großveranstaltungen wie dieser sind Dutzende, wenn nicht Hunderte Personen in Planung, Genehmigung, Ausführung usw. einbezogen. Es gibt einen öffentlichen Erwartungsdruck und finanzielle Verpflichtungen. Da schwatzen viele Mäuler mit drein und am lautesten jene, die keine Verantwortung tragen müssen.

       

      Nicht zuletzt: Exemplarisch rollende Köpfe machen die Sache nicht ungeschehen. Das Duisburger Landgericht hat richtig entschieden.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Es handelte sich noch nicht um die Verhandlung selbst, sondern um das Klagezulassungsverfahren. Und da ist es nunmal Aufgabe des Gerichts, zu entscheiden, ob anhand des -->vorgelegten

      • @sart:

        Rest:

        ... Materials ein Verfahren eröffnet werden kann. Irgendwelche Ermittlungsarbeiten hat das Gericht nicht anzustellen, das ist nunmal Aufgabe der Staatsanwaltschaft.

  • Kasten/Klassenjustiz eeh? Die "Kleinen" werden getreten, die "Höheren" gewinnen? Wo bleibt da die Idee des humanen Rechtsstaates ab?

  • Immer dann, wenn in Deutschland bei ähnlich gelagerten Fällen auch eine politische Verantwortung auf der Hand lag, versandeten die Verfahren mit Sicherheit.