Kommentar Kampf gegen Rechts: Die Zivilgesellschaft hat dazugelernt
Deutschland hat in den vergangene zehn Jahren erstmals Millionen Euro in den Auf- und Ausbau der Zivilgesellschaft investiert. Das hat die Republik zum Guten verändert.
A m Anfang stand ein Irrtum. Als Bundeskanzler Schröder vor zehn Jahren zum "Aufstand der Anständigen" aufrief, glaubten mit ihm Millionen: Der Brandanschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf sei ein Werk von Rechtsextremisten gewesen. Aber schon bald stellte sich heraus: Ein 19-jähriger Palästinenser und ein 20-jähriger Marokkaner hatten die Tat begangen.
Düsseldorf, das war ein Menetekel. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die rot-grüne Bundesregierung selbstbewusst verkünden müssen: "Unser Land hat sich verändert. Jeder dritte Jugendliche hat bereits einen Migrationshintergrund. Das hat Folgen - im Guten wie im Schlechten. Nicht nur arische Rechtsextremisten können die innere Sicherheit des Landes gefährden, sondern auch Antisemiten, Rassisten und Islamisten mit Migrationshintergrund. Neu- und Altbürger, lasst uns gemeinsam die Extremisten bekämpfen!" Das ist leider nicht geschehen. Ohne Not hat man Rechtspopulisten ein Agitationsfeld überlassen. Sie nutzen es bis heute.
Mit recht verengtem Blick legte Rot-Grün 2001 stattdessen zunächst Programme gegen (teutonischen) Rechtsextremismus, (teutonische) Fremdenfeindlichkeit und (teutonischen) Antisemitismus auf. Diese bedienten ideologische Selbstgewissheiten, sparten aber einen Teil der bundesrepublikanischen Wirklichkeit aus.
Eberhard Seidel ist Journalist und Geschäftsführer von "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage".
Trotz des gravierenden Geburtsfehlers haben sowohl der "Aufstand der Anständigen" als auch die Programme zweifelsfrei ihre historischen Verdienste. Erstmals in ihrer Geschichte investierte die Bundesrepublik in einer Dekade ein paar hundert Millionen Euro in den Auf- und Ausbau der Zivilgesellschaft. Die Investition im Gegenwert von 45 Kilometern Autobahn trägt Dividende und hat die Republik zum Guten verändert.
Die Prävention wird ernst genommen und Schülernetzwerke engagieren sich gegen Extremismus jeglicher Art. Opfer rassistischer Gewalt sind sich nicht mehr selbst überlassen und Naziaufmärsche werden regelmäßig von breiten Bürgerbündnissen be- und verhindert.
Die Zivilgesellschaft, die Politik und die Programmmacher haben seit 2000 dazugelernt. Die ideologischen Barrieren von einst sind überwunden. Heute geht es um demokratiegefährdende Bestrebungen sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch in den Minderheiten. So geht Emanzipation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid