Kommentar Jungs Forderungen: Lüge oder Dummheit
Vermutlich will Jung nur durch die Hintertür ein Lieblingsthema der Union in den Wahlkampf einführen: die Forderung nach erweiterten Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland.
Vielleicht lügt Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Oder er versteht weniger von den Aufgaben der Bundeswehr als ein interessierter Zeitungsleser. Es ist vorstellbar, dass er die Öffentlichkeit einfach für blöd hält. Aber es kann ja auch sein, dass stimmt, was der Minister jetzt in einem Interview behauptet hat. Das wäre die dramatischste Möglichkeit. Sie hätte weitreichende Folgen.
Jung hat sich für eine Verfassungsänderung ausgesprochen, um, wie er sagt, die Bundeswehr auf See handlungsfähig zu machen. Derzeit sei nämlich laut Grundgesetz für eine Geiselbefreiung die Polizei zuständig. Wenn der Minister Recht hat, dann agiert eine militärische Sondereinheit der Bundeswehr, das Kommando Spezialkräfte (KSK), seit Jahren mit einem verfassungswidrigen Auftrag. Dann beteiligt sich die deutsche Armee an einem verfassungswidrigen Einsatz, wenn sie Piraten vor der somalischen Küste bekämpft. Der Minister weiß das auch, wie man dem Interview entnehmen kann. Wenn er Recht hat, muss er sofort zurücktreten.
Bettina Gaus ist politische Korrespondentin der taz.
Allerdings spricht vieles dafür, dass er nicht Recht hat. In den frühen 90er-Jahren waren Deutsche mehrfach von Nato-Verbündeten aus Krisengebieten evakuiert worden. Das Argument, dies sei den Bündnispartnern nicht weiterhin zuzumuten, war die wichtigste Begründung für die Aufstellung des KSK. Dessen Aufgabe, unter anderem: Retten, Befreien und Evakuieren von Personen. Polizeiliche Aufgaben dürfen also durchaus vom Militär übernommen werden. Im Ausland.
Aber eben nur im Ausland. Vermutlich will Jung nur durch die Hintertür ein Lieblingsthema der Union in den Wahlkampf einführen: die Forderung nach erweiterten Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland. Von der unanständigen Methode sollten sich seine Parteifreunde distanzieren.
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