Kommentar Internetsperren: Volksferner Populismus
Das Gesetz gegen Kinderpornos im Internet wurde zwar schnell durch den Bundestag gepeitscht. Doch jetzt hat die Bundsregierung es erst einmal in die Brüsseler Warteschleife geschickt.
P opulismus ist ein schwieriges Geschäft, wenn der Politik das Gespür fürs Populäre abhandenkommt. Beflissen eilten Kandidat und Kanzlerin vor einigen Monaten nach Rüsselsheim, in der irrigen Annahme, die Rettung einer maroden Automarke mit Steuergeldern sei im Wahlvolk populär. Noch sicherer glaubten Union und SPD die Ansichten des Publikums vorauszuahnen, als sie im Frühjahr das Gesetz gegen Kinderpornografie im Internet beschlossen. Es war eines der schnellsten Gesetzgebungsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik, ganz ohne die sonst üblichen trickreichen Verzögerungen. Bis vor Kurzem.
Jetzt hat die Regierung das Gesetz erst einmal nach Brüssel in die Warteschleife geschickt. Einvernehmlich, wie es heißt - obwohl man ebenso einvernehmlich der Ansicht sei, die neue Regelung bei der Europäischen Kommission gar nicht vorlegen zu müssen.
Ralph Bollmann ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.
Das lässt nur den Schluss zu, dass alle Beteiligten ganz froh sind, das heikle Thema aus dem Wahlkampf heraushalten zu können. Denn selten hat sich eine politische Klasse, die sich E-Mails mehrheitlich von der Sekretärin ausdrucken lässt, in der Bewertung eines Themas so sehr verschätzt wie bei den Internetsperren. Nicht nur SPD und Grüne zittern jetzt vor der Piratenpartei. Auch die Union muss fürchten, weitere Wähler an die in Bürgerrechtsfragen liberalere FDP zu verlieren.
Dass sich die Politik endlich des Kinderschutzes annehme, feierte Familienministerin Ursula von der Leyen als endgültigen Sieg über das Machogehabe früherer Politiker, die solche Themen als Gedöns abtaten. In der Sache mochte das richtig sein, doch in der Art und Weise entsprach das Schnellverfahren ziemlich präzise den Methoden des früheren Basta-Kanzlers Gerhard Schröder ("wegschließen - und zwar für immer").
Für eine präzise Analyse von Schaden und Nutzen war keine Zeit, schnelles Handeln hielt man für wahltaktisch geboten. Das hat sich als Irrtum erwiesen.
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