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Kommentar Internationaler StrafgerichtshofDie Grenzen von Den Haag

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Grundsätzlich ist das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Lubanga zu begrüßen. Es wirft aber auch sehr viele Fragen auf.

H istorisch ist der Richterspruch des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga nur, weil er der erste Richterspruch des Internationalen Strafgerichtshofs überhaupt ist. Es ist zu begrüßen, dass das Weltgericht in Den Haag endlich einmal ein Verfahren zu Ende führt.

Es ist auch wichtig, wieder einmal die völkerrechtliche Ächtung des Einsatzes von Kindersoldaten zu unterstreichen. Jenseits dieser Eindeutigkeiten jedoch wirft das gestrige Urteil mehr Fragen auf, als es beantwortet.

Im nordostkongolesischen Distrikt Ituri, wo die UPC-Miliz von Thomas Lubanga kämpfte, fanden während des Kongokrieges 1998–2003 systematische „ethnische Säuberungen“ statt. Vor allem Angehörige der Hema-Ethnie sahen sich als Opfer eines Völkermordes und ihr Engagement in der UPC als Kampf um das nackte Überleben.

Bild: taz
DOMINIC JOHNSON

ist Leiter des Auslandsbüro der taz und zuständig für die Afrika-Berichterstattung.

Es ist einfach, Jahre nach einem Bürgerkrieg zu tadeln, dass 14-Jährige in einer Miliz gedient haben. Aber was sollen Familien einer verfolgten Volksgruppe in einem Umfeld von Massenvertreibungen und groß angelegten ethnischen Morden ohne jeden Schutz anderes machen, als sich mit Kind und Kegel einer Miliz anzuschließen? Und verlangt Gerechtigkeit dann nicht danach, die Morde und Vertreibungen aller Seiten aufzuklären, mit Anhörung unterschiedlicher Zeugen und Opfer, und die Verantwortlichen vor dem Hintergrund einer umfassend ermittelten historischen Wahrheit zu bestrafen?

Eine solche Aufklärung übersteigt die Kompetenzen und Kapazitäten von Den Haag, auch wenn dort inzwischen weitere Prozesse gegen Milizenführer aus Ituri laufen. Der Strafgerichtshof ist keine Wahrheitskommission und kein Kongo-Tribunal – und kann es auch nicht sein.

Deshalb können seine Urteile auch keine Aufarbeitung der Verbrechen der Kriege leisten. Die kann nur im Kongo selbst erfolgen. Und es ist zu befürchten, dass die selektive Arbeit von Den Haag eine solche Aufarbeitung eher verzögert.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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5 Kommentare

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  • HL
    Hubert Lamberti

    Also ich finde es gut, wenn Verbrecher gerecht verurteilt werden!

    Jetzt hat die taz -DANKE!- da auch Betroffene zu Wort kommen lassen, es handelt sich um einen völlig anderen Kulturkreis mit anderen Alters-Untergrenzen, eine andere Welt, ich denk da an 1618/48 in Europa.

    So einfach sind Werteskalen nicht zu übertragen, es soll ja aber auch einen Fortschritt zu mehr Humanität geben.

     

    Irgendjemand muss damit anfangen, hier also DenHaag, was ja gut ist, international, wenn auch nicht von allen anerkannt, die Führungsmacht USA ist außen vor, sei's drum!

     

    Eine Frage hab ich noch, die eine Zeitung wie die taz besser beantworten kann als ich selber mit google&Co:

    Da gab's doch mal diesen Krieg zwischen Irak und Iran, in dem Kinder bunte Plastikschlüsselchen sich umhängen durften, die ins Paradies führen sollten, diese Kinder rannten gegen Irak in die Minenfelder, Gassen freimachen, wegen der (mit Verlaub!) Matscherei von zersprengten Körperteilen später in Decken gewickelt.

     

    Oder war das vllt. auch nur eine Propaganda?

     

    Jedenfalls, liebe taz, ich möchte einfach wissen, wann diese damals befehlsbefugten Politiker (wenn es so war!) und Militärkommandeure ihr Urteil erwarten, sie stehen doch sicher in der Warteschlange in den DenHaag-Prozessen.

     

    Oder ist es besser, sie noch recht lange in möglichst karger Untersuchungshaft schmoren zu lassen (sitzen sie dort überhaupt!?) andersherum gilt ja die Unschuldsvermutung, also "freiheitsnah den Prozess erwarten lassend..."

     

    Bitte helfen Sie mir und auch andren Lesern und Genossen in der Erkenntnisgewinnung weiter!

     

    Herzliche Grüße

    Hubert Lamberti

  • I
    isomatte

    Besonders traurig finde ich, dass dieses Urteil mit der "Popularität" des Themas Kindersoldaten zusammenfällt, die dieser Kony-Film erzeugt hat. Natürlich muss jetzt Angelina Jolie ihren Senf dazu geben, wie toll es ist, dass nun endlich so ein böser Mensch verurteilt wurde. Und ein Mensch wie Lubanga, der sicherlich auch eine politische Mission hatte, wird gleichgesetzt mit Kony. Für die Hintergründe interessiert sich da natürlich keiner.

  • I
    Indifferent

    Wenn schon vor das Weltgericht, dann alle vor das Weltgericht. Auch Bush! Kann keiner? Dann lasst den ganzen Scheiß doch sein. Will man Idi Amin jetzt ausgraben und stundenlang in die Fresse hauen?Und wann stellt man Assad vor Gericht? Justitia, die unvollkommene Gerechtigkeit:Die man nicht fürchten muss, die hängt man!

  • HP
    Heinz Pütter

    In Den Haag wurde gestern Geschichte geschrieben: Der Internationale Gerichtshof verkündete das erste Urteil.

     

    Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, doch wer bewaffnete diese Kinder, wo kamen die Waffen her?

     

    Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur weltweit. Neu auf dem Markt: besonders leichte Gewehre.

     

    Sie sterben erbärmlich; wenn sie am Leben bleiben, ist es ein Martyrium. Denn die Traumatisierung bleibt. 250 000 bis 300 000 Kindersoldaten gibt es weltweit, allein zwischen 1990 und dem Jahr 2000 sind zwei Millionen gefallen. Wie viele durch exportierte Waffen aus Deutschland ums Leben kamen, darüber gibt es keine genaue Zahl. Da Deutschland drittgrößter Waffenexporteur ist, werden es nicht wenige sein.

     

    Besonders stark sind Heckler-und-Koch-Waffen am Geschäft mit dem Tod beteiligt – das ist der europaweit größte Pistolen- und Gewehrhersteller. 1,5 Millionen Menschen kamen so laut Schätzungen von Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), seit 1961 ums Leben. »Statistisch gesehen wird alle 14 Minuten ein Mensch von einer Kugel durch den Lauf einer Heckler-und-Koch-Waffe getötet. Die schlimmsten Waffen waren dabei die Maschinenpistole MP5 und das Schnellfeuergewehr G3«, sagt der Experte.

     

    Letzteres ist als Sturmgewehr auf den Schlachtfeldern der Welt präsent. Sein Nachfolgemodell G 36 ist wegen seiner Konstruktion auch für Kindersoldaten bestens geeignet. In 35 Staaten der Welt ist es im Einsatz. Und auch ein jüngst entwickeltes Maschinengewehr MG 4 könnte sich – zumindest für die Jugendlichen unter den Kindersoldaten – gut eignen. Die Firma aus Oberndorf preist es als besonders leicht und über lange Strecken gut transportierbar an. Im Dezember besteht sie seit 60 Jahren. Ein Grund zum Feiern, sagen die, die sie mehr als genau kennen, ist das nicht.

     

    Doch wie steht die Bundesregierung zu alledem? Vor 60 Jahren stellten Heckler und Koch wegen des Verbots der Alliierten, Kriegswaffen zu produzieren, noch Nähmaschinen und Fahrradteile her. Das änderte sich bald. Und die Firma gewann mit dem besagten Sturmgewehr G3 auf Anhieb eine Ausschreibung der Bundeswehr. Die Lizenz ging in die Hände des Bundes über. Der sie in den 1960er-Jahren auch an andere Staaten weitergab. Etwa an das damals von einem Diktator regierte Portugal, danach an Pakistan, an den Iran, an die Türkei, an Mexiko, Thailand und Myanmar, eines der brutalsten Regime der Welt. Der Bund ermöglichte diesen Ländern so den Aufbau einer eigenen Waffenindustrie.

     

    Das Geschäft mit dem Tod ist seither nicht geringer geworden. Alles in allem lieferte im Jahr 2007 die Bundesrepublik für 3,3 Milliarden US-Dollar Waffen in alle Welt. Das wissen wir Dank SIPRI, dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut, das jährlich einen entsprechenden Bericht erstellt. Kritiker der unternehmerfreundlichen Rüstungspolitik des Bundesregierung – die beiden großen Kirchen mit ihrem alljährlichen Bericht gehören dazu – sind allzu rar. Und so verdienen die deutschen Rüstungsfirmen auch und gerade in der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise nicht schlecht. Denn Kriege brechen bekanntlich vor allem dort aus, wo die wirtschaftliche Not am größten ist. Allein 40 gibt es zurzeit weltweit. Und dies sorgt bei Rüstungsexporteuren für Wachstum. Der Umsatz von Heckler und Koch stieg im Geschäftsjahr 2008 um gut 25 Prozent auf 185,7 Millionen Euro. Der Nettogewinn hat sich von 5,4 Millionen Euro auf 12,8 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

     

    Dass sich unter der Bundesregierung da etwas ändert, wird kaum zu erwarten sein. Immerhin gab es unter der letzten Regierung von Rot-Grün den ersten Rüstungsexportbericht in der Geschichte Deutschlands. Doch bewirkt hat das kaum etwas. Alle Bemühungen – auch der Kritiker – blieben ein Tropfen auf den heißen Stein. Das todbringende Rüstungsexportgeschäft wird auf lange Zeit Deutschlands schwerstes Kapital bleiben. Und die furchtbare Wahrheit ist, dass davon nicht unwesentlich Kindersoldaten betroffen sind.

     

    Da mag es zynisch klingen, dass sie bei einer Flucht in die Bundesrepublik keinerlei Hoffnung auf Hilfe haben. Flucht von Minderjährigen vor Zwangsrekrutierung gilt hierzulande nicht als Asylgrund. Auch ihr Schutz müsste endlich politisch eingefordert werden. Vor dem Hintergrund des Skandals der für sie todbringenden deutschen Waffenexporte allemal.

  • RM
    R. Maier

    Das Völkerrecht verbietet auch den Besitz und die Bedrohung mit Massenvernichtungswaffen ('wir' sind ja auch NATO-Mitglied und haben dem Völkerrechtswidrigerweise zugestimmt). Auch Angriffskriege sind Völkerechtswidrig (Fischer, Schröder, Scharping und andere laufen trotzdem immer noch frei herum). Und die Generalbundesanwaltschaft hat über 50 Verfahren gegen 'befreundete' Diktatoren und lupenreine Demokraten wegen diverser Schwerverbrechen ohne Not eingestellt. Aber wer wird verurteilt und wegen was? Na toll.