Kommentar Indiens Parlament: Schwerkrank ins Parlament gekarrt
Bei den Machtspielen und Winkelzügen im in dischen Parlament gibt es keine gewinner, nur einen Verlierer:Die indische Demokratie.
"Das indische Parlament ist auf einem Tiefpunkt angekommen", sagte der indische Parlamentspräsident Somnath Chatterjee. Das war, bevor drei Abgeordnete der oppositionellen "Indischen Volkspartei" (BJP) mit einer Tasche voll Geld in den Sitzungssaal stürmten und schrien, die Regierung habe versucht, sie zu bestechen. Was sich gestern im indischen Unterhaus abspielte, war eine Farce auf die Demokratie. Von entführten Abgeordneten war die Rede, gleichzeitig wurden schwerkranke Parlamentarier in Rollstühlen in den Sitzungssaal gekarrt. Inhaftierten Mitgliedern des Unterhauses wurde auf Drängen der Parteien Freigang gewährt.
Die Regierung unternahm alles, um selbst Abgeordnete der allerkleinsten Parteien für sich zu gewinnen. Und auf oppositioneller Seite standen die Kommunisten in bizarrer Allianz mit der hindunationalistischen BJP; auch sie rangen um jede Stimme.
Dabei haben die Politiker auf allen Seiten vor allem eines bewiesen: Für ihre persönlichen Machtinteressen tun sie alles; Schmierenkomödie hin oder her. Premier Manmohan Singh etwa versuchte, sein Prestigeprojekt durchzudrücken: einen Atomdeal mit den USA, den seine Unterstützer, vier kommunistische Parteien, aus antiamerikanischer Tradition ablehnten. Er ließ das Abkommen daher ein Jahr lang ruhen.
Dann handelte er hinter den Kulissen Unterstützung aus den Reihen der Opposition für den Fall einer Vertrauensabstimmung aus. Seinen langjährigen kommunistischen Unterstützern sagte er davon nichts, sondern ließ sie durch die Presse wissen, er werde das Abkommen nun vorantreiben. Die BJP schlug sich auf die Seite der Opposition und wetterte so mit ihren Todfeinden gegen das Abkommen. Denn bei vorgezogenen Neuwahlen hätten die Hindunationalisten gute Karten. Dass gerade sie stets für enge Beziehungen zu den USA geworben hatten, war vergessen.
Kann es bei solchen Machtspielen und Winkelzügen einen Gewinner geben? Nein, aber es gibt einen klaren Verlierer: Indiens Demokratie.
SASCHA ZASTIRAL
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