Kommentar Indien wird Atommacht: Nuklearwaffen könnten sich verbreiten
Das Abkommen mit Indien bestätigt all jene, die dem Westen vorwerfen, mit zweierlei Maß zu messen.
Bernd Pickert ist Auslands-Redakteur der taz.
Der Beschluss ist bahnbrechend, Indien den Einstieg in den Handel mit Nuklearmaterial zu erlauben. Und er ist falsch. Zu Recht haben Nichtregierungsorganisationen und Experten vor den fatalen Wirkungen einer solchen Entscheidung seitens der Nuklearen Lieferstaaten (NSG) in Wien gewarnt. Die völkerrechtliche Absicherung der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen ist in Gefahr.
Indien ist eines von nur vier Ländern, die den Atomwaffensperrvertrag noch immer nicht unterzeichnet haben, der verhindern soll, dass Nuklearmaterial in falsche Hände gerät. Es wäre eine Mindestvoraussetzung gewesen, dass Indien sich zu diesem Vertrag bekennt, bevor es in den Club der legitimen Atommächte aufgenommen wird. Stattdessen: Selbstverpflichtungen und Erklärungen, deren Gültigkeit die indische Regierung im eigenen Land selbst öffentlich in Zweifel zieht, um dem lautstark erhobenen Vorwurf der Opposition zu entgehen, man verkaufe in Wien seine Souveränität.
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier behauptet zwar freudig, bei der Wiener Sitzung unter deutschem Vorsitz hätten Indien bedeutsame Zugeständnisse abgerungen werden können. Doch dieses Selbstlob ist völlig deplatziert. Stattdessen wurden wesentliche Grundsätze der Nuklearkontrolle geopfert, weil die US-Regierung an einer strategischen Allianz mit Indien gegen China interessiert ist. Das Abkommen mit Indien bestätigt all jene, die dem Westen vorwerfen, mit zweierlei Maß zu messen. Wie soll dem Iran die atomare Aufbereitung glaubwürdig verwehrt werden, die dem Land als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages sogar zusteht - wenn gleichzeitig Indien erlaubt wird, was ihm eigentlich verwehrt bleiben muss?
Man kann sich vorstellen, welchen Druck Washington ausgeübt haben muss, um die Konsensentscheidung der 45 in Wien versammelten NSG-Mitgliedsländer zu erreichen. Genau dort allerdings, in Washington, könnte das Abkommen doch noch scheitern. Nur wenig Zeit bleibt dem US-Kongress noch vor der Wahlpause, um das Abkommen zu ratifizieren; geschieht das nicht, muss sich die nächste Regierung neu verhalten. Der Republikaner John McCain hat bereits seine volle Unterstützung erklärt, von Barack Obama war zunächst nichts zu hören.
Es wäre ein erstes Zeichen von "change", Veränderung, würden sich die Parlamentarier im demokratisch geführten Kongress verweigern. Dass die deutsche Bundesregierung trotz ihres Vorsitzes in Wien nicht verhindert hat, dass der Atomwaffensperrvertrag aufgeweicht wird - das bleibt als Makel an ihr kleben.
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