Kommentar IG Metall: Richtige Forderung, schlechter Zeitpunkt

Wenn Banken zusammenkrachen und andere Branchen ächzen, fällt es leicht, gerechtfertigte Forderungen als überhöht zu diskreditieren.

Ist es in Ordnung, 8 Prozent mehr Lohn zu fordern, wenn alle Welt vom Abschwung redet? Die Mehrheit der Deutschen findet: Ja, natürlich. Über die Hälfte der Befragten einer aktuellen Umfrage hält die Tarifforderung der IG Metall für angemessen, 5 Prozent halten sie gar für zu niedrig. Denn von den fetten Aufschwungsjahren haben vor allem Firmen und Aktienbesitzer profitiert, während normale Angestellte leer ausgingen.

Vor diesem Hintergrund muss man auch die hohe Forderung der Gewerkschaft bewerten: Die meist exportorientierten Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie stehen glänzend da, ihre Gewinne sind zwischen 2004 und 2007 förmlich hochgeschnellt - um satte 220 Prozent, hat die IG Metall errechnet. Die Beschäftigten aber bekamen nur moderate 9 Prozent mehr an Gehalt. Die mitgliederstärkste Gewerkschaft Deutschlands tut nun das, was man von einer starken Arbeitnehmervertretung erwarten kann: Sie kämpft dafür, die Beschäftigten stärker an den exorbitanten Gewinnen zu beteiligen.

Ihre Chancen, sich durchzusetzen, stehen gut. Anders als andere Großgewerkschaften kann sie sich in den Betrieben auf einen hohen Organisationsgrad stützen. Und anders als etwa im Einzelhandel führt ein Streik hier zu hohen, nicht vermeidbaren Verlusten.

Dass die hohe Forderung erst jetzt auf den Tisch kommt, liegt in der Natur der Sache - erst muss schließlich feststehen, wie viel erwirtschaftet wurde, bevor verteilt werden kann. Es ist allerdings mehr als Pech für die IG Metall, dass die Tarifrunde ausgerechnet dann entschieden wird, wenn sich die Zeichen für einen Abschwung mehren. Denn die öffentliche Agenda spielt den Arbeitgebern in die Hand: Wenn Banken zusammenkrachen und andere Branchen ächzen, fällt es leicht, gerechtfertigte Forderungen als überhöht zu diskreditieren.

Damit muss die IG Metall rechnen. Sie sollte darauf reagieren, indem sie ihre Argumente transparent und differenziert vermittelt und die Möglichkeit eines Streiks genau abwägt. Auch das ist sie ihren Mitgliedern schuldig.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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