Kommentar Hessen-Wahl: Männer von gestern
Roland Kochs Angkampagne hat bei denen nicht gefruchtet, auf die sie abgezielt war: den Rentern. Und seine Niederlage trifft auch die Medien, die sich hinter ihn stellten.
Sage niemand etwas gegen die deutschen Rentner. Selbst die Senioren, sonst eine feste Stammwähler-Klientel der CDU, vermochte Roland Koch mit seiner Angstkampagne um jugendliche Gewalttäter nicht so recht hinter sich zu bringen. Und das, obwohl er sich mit den Videobildern aus der Münchner U-Bahn auf ein drastisches Beispiel stützen konnte, bei dem ein Rentner das Opfer war.
Kochs Niederlage ist nicht nur eine Warnung an seine Partei, künftig von solchen schmutzigen Kampagnen zu lassen. Sie trifft auch jene Medien, die seinen Wahlkampf mit publizistischem Tamtam unterstützt haben. Vor allem die Bild-Zeitung hat das Thema "kriminelle Ausländer" in den letzten Wochen ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Nun müssen Bild-Chef Kai Diekmann und seine Bluthunde einsehen, dass ihr Einsatz nichts genützt hat. Ein Dämpfer ist das Ergebnis aber auch für FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Der hatte versucht, der Debatte um Jugendgewalt einen religiösen Dreh zu geben, indem er sie zu einem spezifisch muslimischen Problem erklärte.
In beiden Blättern herrscht heute Katzenjammer darüber, dass Koch so abgestraft wurde, gilt er doch als letzte "Gallionsfigur eines wertegebundenen Konservatismus" (FAZ). Bild stilisiert ihn gar zum letzten aufrechten Sheriff, der nun geschlagen in Richtung Sonnenuntergang reitet. Doch die Sehnsucht zu stillen nach einem Law-and-Order-Mann, der es wagt, offen mit rassistischen Ressentiments zu spielen - das überlässt man besser solchen Populisten wie Ronald Schill. Dies ist die Lehre, die die CDU aus der Hessen-Wahl ziehen muss, will sie Volkspartei bleiben. Aber auch Schill gilt nicht von ungefähr als Mann von gestern.
Für Frankfurter Allgemeine Zeitung und Bild dagegen gilt: Mit Krawall-Publizistik lässt sich zwar kurzfristig Aufsehen erregen. Langfristig aber schadet sie dem eigenen Ruf. Davor, dass Schirrmachers Panikmache ihr seriöses Publikum verschreckt, muss sich die FAZ fürchten. Und auch Bild kann nicht daran gelegen sein, dass etwa türkischstämmige Leser die Finger von dem Blatt lassen, will sie ihre Auflage halten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart