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Kommentar Hartz-IVStreit um jeden Preis – wegen 6 Euro

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Ein symbolischer Sieg wird der Hartz-IV-Parteienstreit für keine Seite werden, denn dafür sind 6 Euro zu popelig. Und den Leiharbeitern nützt er auch nicht.

P ro Monat 364 Euro oder 370 Euro? Dies ist einer der Streitpunkte bei den Hartz-IV-Verhandlungen, die Regierung und Opposition nun schon mehrere Nächte gekostet haben. Und wie immer der Kompromiss am Ende aussieht: Ein symbolischer Sieg wird es für keine Seite werden, denn dafür sind 6 Euro zu popelig.

Die Hartz-IV-Verhandlungen gehören zu den seltsamsten Inszenierungen, die die bundesdeutsche Geschichte je erlebt hat. Denn der Streit um ganze 6 Euro kommt ja nicht von ungefähr: Regierung und Opposition sind sich einig, dass sich an Hartz IV nichts Bedeutsames ändern darf. Schließlich hat man dieses Projekt gemeinsam erfunden, nur dass damals Rot-Grün regierte und Schwarz-Gelb den Bundesrat dominierte.

Die Anforderungen an die Inszenierung sind also kompliziert: Es verhandeln Komplizen, die fürs Publikum einen Streit aufführen müssen. Daher ist es auch so verlockend, sich auf Nebenaspekte zu kaprizieren, die mit dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts zu tun haben. Zur Erinnerung: Die Richter bemängelten die Berechnung der Regelsätze. Doch lieber unterhalten sich Regierung und Opposition über Bildungspakete oder Leiharbeiter.

taz
ULRIKE HERRMANN

ULRIKE HERRMANN ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Den Leiharbeitern selbst dürfte dieser Streit kaum nützen. Aber für FDP und SPD ist der Disput erfreulich. Sie können sich bei ihren Anhängern profilieren - was ja nicht unwichtig ist kurz vor bedeutenden Landtagswahlen. Die Liberalen positionieren sich als die Vorfront der Arbeitgeber, die Sozialdemokraten als die Kämpfer für ausgebeutete Arbeitnehmer. Der Selbstdarstellung beider Parteien ist es durchaus dienlich, dass Kanzlerin Merkel das Hartz-IV-Gerangel jetzt zur Chefsache erklärt hat. So wird die Inszenierung perfekt.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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19 Kommentare

 / 
  • H
    hme

    "Regierung und Opposition sind sich einig, dass sich an Hartz IV nichts Bedeutsames ändern darf."

     

    Gilt das auch für die Linke?

  • A2
    Agent 2010

    Die arme schwarz-gelbe Regierung ...Sie versucht doch nur ,die Gesellschaft zu retten.

    Schließlich bedeutet jeder Euro mehr,daß die bedauernswerten Leistungsträger auf ein riesiges Stück ihres ohnehin schon mickrigen Kuchens verzichten müssen.

  • T
    Thomas

    Warum spricht Frau Herrmann von EUR 6 (statt 5)? Und warum suggeriert auch sie, daß es einen Zusammenhang zwischen Hartz IV und einem Mindestlohn nicht gibt? Den gibt es natürlich: es sind die Löhne der "Aufstocker". Mindestlöhne verhindern, daß die Arbeitgeber von der Allgemeinheit Lohnkosten tragen lassen, weil ihre Entlohnung dazu führt, daß die Beschäftigten trotz Vollzeitstellen-Erwerbstätigkeit weniger als das sozio-kulturelle Existenzminimum erhalten.

  • A
    Amos

    Der Staat ist so arm, dass er sich 5-Bundespräsidenten(vier a.D. und ein amtierender) mit vollen Bezügen und Dienstfahrzeug leisten kann.

    So arm, dass er Kriege führen kann. So arm, dass er für Milliarden "Kathedralen in die Wüste setzen" kann.Milliarden für Banken übrig hat. Nur seinen sozialen Pflichten kann er nur ungenügend nachkommen.

    Unser Staat ist das, was man einen Versager-Staat nennt, der mit der Verfassung nur noch wenig am Hut hat. Wie selbst Hartz zugab: "Hartz IV ist Betrug"!

    Also ist Hartz IV Rechtsbeugung, weil es in vielen Punkten gegen die Verfassung verstößt.

  • C
    carolus

    was die hartz gesetze betrifft,sitzen die parteien ausser die linke alle in einem boot.

    von daher stimmt es schon,dass dieser jetzige streit um paar cent,fünfzig nicht besonders glaubwürdig ist.

     

    die grünen wollen sich vom neoliberalen fischer-image lösen,die cdu will sich zum kanzlerinnnenwahlverein krönen,die csu will alles und dann wieder nichts,die fdp will nur noch die nackte haut retten,die spd ist ein totaler sch....haufen.

    bei frau merkel wird jetzt hier auf dicke hose gemacht vor den anstehenden landtags-und kommunalwahlen den affen(von wegen die entscheidungsfreudige angela)

  • A
    Anna

    Wie lange wurde wegen der Milliarden zwecks Banken- Griechenland- und Eurorettung verhandelt? Wie lange um die Milliarden für die Steuerverbesserung der Hotelbesitzer? Bezahlen die Politiker die Harz IV Gelder aus der eigenen Tasche oder hängen von deren Höhe die eigenen Diäten ab weil mehr übrig bleibt? Was hat der Lohn eines Arbeiters mit den Bezügen einer vierköpfigen Familie zu tun (Herr Lindner)? Wenn man Birnen mit Fischen vergleicht sollte man sich wohl erst einmal einen Bezugsrahmen schaffen. Geht es nun um Existenzsicherung, Entlohnung nach Familiengröße, wofür gibt es das Kindergeld und wieso hat nicht einfach jeder Mensch ein Existenzrecht in diesem Land (Grundeinkommen? "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit", "Leistung muss sich lohnen" Sprüche der Liberalen! Lohnabstansgebot haben wir auch, wenn wir Arbeitslager mit Verpflegung einrichten. Ich kann nicht glauben wie argumentiert wird. Im arabischen Raum geht es um Menschenrechte und Lebensqualität. Und hier? Wieso sind all die Gedemütigten und Erniedrigten nicht auf der Strasse?

  • G
    Grufty

    Hallo!

    ob 5 oder 11 Euro darum streiten sich solche Leute die die Euros im überfluss haben.

    Von der Leyen streitet sich nicht um die paar Euros sondern Sie möchte den Namen ändern von Hartz IV in Leyen-Almosen und das für Leute die 40 Jahre und mehr gearbeitet haben.

     

    Leiharbeitsfirmen sind die modernen Sklavenhalter und warum sind die Löhne so gering?? ist doch klar erst es wollen doch alle an den Arbeitern verdienen die die Arbeit haben und die die vermitteln die Scheinfirmen die oft von den Arbeitgebern gegründet wurden. Siehe Schlecker etc. immer nur die kleinen ausnehmen die haben ja keine Lobby!

  • M
    Maja

    Nützen würde den Leiharbeitern ein bedingungsloses Grundeinkommen plus gleichzeitiger Einführung eines branchenübergreifenen Mindestlohns.

     

    Sogar der heiligen Kuh der Konservativen, dem "Lohnabstandsgebot" würde ein bedingungsloses Grundeinkommen nützen.

     

    Im Gegensatz zu jetzt hätte man mit Arbeit dann nämlich garantiert mehr Geld als ohne Arbeit.

  • MM
    Michael Milbradt

    Klarer Fall: Es geht um Merkel. Die Alternative heißt Sigmar Gabriel.

  • FK
    Frank K.

    Das Dilemma aller Parteien, die am Verhandlungstisch sitzen ist doch "wasch mich, aber mach mich nicht nass"

     

    Bei der Einführung von Hartz IV (und den davorgehenden) waren genauso Vertreter dieser Parteien beteiligt wie jetzt. Die ersten Regelsätze wurden mit Absicht so niedrig bemessen, das gerade der Niedriglohnsektor davon profitieren konnte. Das wurde jetzt auch so weiter gemacht.

     

    Hört man einigen Koalitionspolitikern zu, sagen sie selbst, das "Hartz IV faktisch schon einen Mindestlohn ausmacht", gefolgt von dem immer gleichen "Argument" des Lohnabstandsgebotes.

     

    Was würde also passieren, wenn die Regelsätze z. B. auf 420 Euro steigen würden, wie vom Paritätischen Wohlfahrtsverband berechnet?

     

    "Arbeit im Niedriglohn würde sich nicht mehr lohnen", ist aber nur die halbe Wahrheit, denn wenn der Abstand zwischen Sozialleistungen und untersten Löhnen zu gering werden würde, müssten die Arbeitgeber ihren Angestellten die Löhne so weit erhöhen, das der Abstand wieder da ist. Das wird aber immer wieder verschwiegen. Warum? Weil es für die Arbeitgeber fast das Doppelte kosten würde (um den Arbeitnehmern genauso viel Erhöhung zukommen zu lassen, also ca. 61 Euro mehr für die Arbeitnehmer, würde den Arbeitgebern 61 Euro plus Sozialversicherungen plus Arbeitgeberanteile plus x kosten).

     

    Es geht also bei der Neuberechnung nicht um die Arbeit suchenden, sondern um die Profite der Zeitarbeitsfirmen und der anderen Firmen im Niedriglohnsektor. Eben Profit über Grundrechte, Menschenrechte und Lebensqualität, auch wenn die nur etwas verbessert würde, aber im Endeffekt hätten höhere Regelsätze auch positive Auswirkungen auf die Löhne, was aber politisch nicht gewollt ist.

     

    Wenn es schon nicht genügend Arbeit gibt, die "ein Leben ohne staatliche Zuschüsse" im Form von ALG 2 (siehe §1 Abs 1 SGB2) ermöglichen, sollte man den Ärmsten zumindest etwas mehr als nur Überlebenssicherung zugestehen.

  • M
    Martin

    @Suyau:

     

    Verstehen sie zumindest prinzipiell den Begriff Existenzminimum?

     

    Können Sie sich vorstellen was es bedeutet, mit dem aktuellen Regelsatz als alleinstehender Erwachsener (wieso reden eigentlich alle ständig nur von Paaren?) in einem Ballungsraum wie München zu überleben?

     

    Allein die durchschnittlichen Nahrungskosten sind hier rund 10-15 Prozent höher als z.B. im Großraum Berlin.

     

    Da freut man sich als doch auch als Akademiker wenn einem "übermäßiger" Zigaretten- und Alkoholkonsum unterstellt wird.

     

    Das sich niemand über die veränderte Berechnungsgrundlage äußert ist hier ebenso typisch wie das ständige Verschieben des Diskussionsschwerpunktes auf die Verpflegung von Kindern.

     

    Der klassische und statistisch sehr relevante Fall des alleinlebenden Singles wird schlicht negiert. Nun gut... ich google mir dann lieber gleich nochmal ein paar Ernähtungstips von Herrn Sarrazin.

  • J6
    Jörg 65

    Einfach nur peinlich dieses Schmierentheater

  • R
    Rheinländer

    Vielen Dank für den treffenden Kommentar! Was die wohl in den ach so anstrengenden "Nachtsitzungen" wirklich machen?

  • L
    lkwklaus

    HARTZ-IV- KUHHANDEL IST SO GUT WIE SICHER

    http://wp.me/p1esOD-Za

  • X
    XChainsawX

    Es wird sich um die Höhe der Regelsätze gestritten ... achso. Wird nicht immer beteuert das der Regelsatz "transparent & sachlich nach den Vorgaben des BVG" berechnet wurde. Wäre das tatsächlich der Fall, dürfte die Regelsatzhöhe somit nicht zur Diskussion stehen dürfen. Die genannte Tatsache und das der Regelsatz in der Höne von 364€ schon lange vorher fest stand, beweisen doch, dass das aufgeführte Theaterstück "HARTZ4-Verhandlungsrunde" nur zur Belustigung und Verschleierung dient.

  • RW
    Ralf Wünsche

    Das ganze ist eine Posse von 2004 bis heute. Gab es damalig nicht einen " Vermittlungsbetrug " mit geschönten Zahlenkolonnen in Nürnberg , eine Ahndung auch auf strafrechtlicher Basis bis heute eine Fehlanzeige. Haben hier nicht SPD, Grüne und Gewerkschaften um ihr eigenes Klientel z.B. öffentl.

    Dienst zu schützen dieses menschenunwürdige Sklaven-

    instrument geschaffen ?

     

    Man redet dannn von " Pfaul " , " Bildungsfern " auf dem 1. Arbeitsmarkt nicht tragbar ?!

     

    Was hat dieses alles noch mit Freiheit , Rechtsstaat,

    Gerechtigkeit , Menschenwürde und Gleichheit vor der Verfassung zu tuen !

     

    Genauso wenig wie in den Strassen von Tunis , Kairo, Amman , Beirut oder Algier !

  • PP
    [Ƿ] PIRATEN wählen ˣ ˣ ˣ ˣ ˣ

    Toller Kommentar!

     

    Sie haben eigentlich alles Wichtige gesagt.

  • K
    KSD

    Kurz, knapp und treffend. Das aktuelle Schmierentheater ist an Absurdität kaum zu überbieten. Aber der Wähler wirds sicher wieder honorieren.

  • S
    Suyau

    Liebe Redaktion,

     

    klar sind 6 € popelig. Aber es geht in dieser Diskussion doch schon lange nicht mehr um die Erhöhung ansich. Nein gerade die Randthemen wie Sie sie beschreiben könnten der große Erfolg werden.

     

    Was für ein Erfolg wäre den eine 6 € HartzIV Erhöhung im Vergleich zu einem sozialen und gerechten Mindestlohn. Oder der Gleichbehandlung von Leiharbeitern zu Festangestellten.

     

    Bitte betrachten Sie das große Ganze und fahren Sie sich nicht an dem Hauptthema fest. Den über allem sollte die Bekämpfung der Armut stehen. Und nicht nur derer die HarzIV beziehen sondern gerade derer die täglich versuchen ihr Brot zu verdienen und am Ende doch nur ne Krümel bekommen.

     

    VlG