Kommentar Hartz IV für Selbständige: Eigeninitiative wird eingedämmt
Unternehmer werden häufig Unternehmer, weil sie keine Anstellung in ihrem Beruf bekommen. Dass sie keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen haben, ist absurd.
D as klingt erst mal logisch: Selbstständige, die von ihrem Gewinn nicht leben können, sollen laut Bundesagentur-Chef Frank-Jürgen Weise kein Hartz IV mehr bekommen. Es ist eine einfache Regel des Kapitalismus, dass der Staat ein unsinniges Geschäftsmodell nicht finanzieren muss. Entweder eine Idee funktioniert, weil es dafür einen Markt gibt. Oder eben nicht.
Auch aus einem anderen Grund sollen UnternehmerInnen keinen Anspruch auf unterstützende Sozialleistungen haben, argumentiert die Bundesagentur. Schließlich zahlen die meisten von ihnen nicht in die Arbeitslosenversicherung ein. Das wiederum tun Angestellte – weswegen sie auch Hartz IV bekommen könnten, wenn ihr fester Job zum Leben zu wenig abwirft. Aber das Argument ist falsch: Hartz IV wird nicht aus der Arbeitslosenversicherung, sondern aus Steuermitteln finanziert.
Hinter der Weise-Idee steht die Angst vor Sozialmissbrauch. Ja, es gibt UnternehmerInnen, die sich arm rechnen und den Sozialstaat betrügen. Manchen ist auch mit hartnäckiger kriminalistischer Recherche nicht beizukommen.
Aber die meisten prekären Selbstständigen sind nicht am Mitnahmeeffekt interessiert, sondern legen regelmäßig und ehrlich ihre mageren Einkünfte offen. Sie würden durch Restriktionen mitbestraft. Ihre Existenzen wären bedroht, viele müssten aufgeben – und würden damit zu kompletten Hartz-IV-EmpfängerInnen.
Zudem würde ihre eigene Aktivität eingedämmt. Ist diese aber nicht ausdrücklich von Arbeitslosen und Hartz-IV-BezieherInnen gefordert? Viele haben sie zudem kaum eine andere Möglichkeit, als ihr eigenes kleines Unternehmen zu gründen, weil sie in ihrem Beruf keine Stelle bekommen. Auch das Argument mit den Umschulungen entpuppt sich als Mythos. Die werden von den Jobcentern häufig nämlich nicht bezahlt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen