Kommentar Hartz-IV-Reform: Der neue Armen-Tarif
Mit der Hartz-IV-Reform werden Sozialgelder zwischen armen Alten, Arbeitslosen und Beitragszahlern ausgespielt. Es ist also nur eine horizontale Umverteilung am Spieltisch.
A m Ende wirkte im Streit über die Hartz-IV-Reform der gleiche Mechanismus wie bei Tarifverhandlungen: Die Kontrahenten rangen nächtelang um einen Kompromiss, der dann frühmorgens gefunden wurde. Also kann das Ergebnis so schlecht nicht sein, ist die Botschaft der Inszenierung. Es gibt in zwei Stufen 8 Euro mehr im Monat an Regelsatz. Arme Kinder erhalten 10 Euro im Monat für Vereinsmitgliedschaften. Mindestlöhne in drei Branchen kommen.
Von einer Summe, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, ist dieser Regelsatz weit entfernt. Die Berechnung erscheint durch die magere Erhöhung nicht weniger willkürlich, im Gegenteil. Dass das politische Geschachere um ein Existenzminimum am Ende mit vielfältigen Interessen zu tun hat, nur eben nicht mit dem Existenzminimum, zeigte sich selten so deutlich wie in dem nun beendeten Verhandlungsmarathon.
Ein wichtiger Punkt ist der Preis für die Einigung - der, wie üblich, erst später fällig wird. Um die Zustimmung der Länder zu gewinnen, hat die Bundesregierung den Kommunen angeboten, sukzessive die Finanzierung der Grundsicherung im Alter zu übernehmen. 4,8 Milliarden Euro kostet diese "Sozialhilfe für Alte" schätzungsweise im Jahre 2014.
Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Soziales im taz-Inland-Ressort.
Dieses Geld will die Bundesregierung bei der Bundesagentur für Arbeit sparen. Die Konjunktur laufe doch gut, da brauche man nicht mehr so viel Geld für die Arbeitslosensicherung, lautete das Argument. Vergessen scheint zu sein, dass die Wirtschaftskrise erst kurz zurückliegt, in der die Bundesagentur Millionen von Euro für Kurzarbeit ausgeben musste.
Eine solche Finanzplanung ist Hasardeurgebaren beim Sozialroulette: Man hofft, dass die Kugel eben deswegen auf Schwarz rollen wird, weil man drauf setzt. Damit werden letztlich Sozialgelder zwischen armen Alten, Arbeitslosen und Beitragszahlern ausgespielt. Horizontale Umverteilung am Spieltisch also: Dies ist der Stand der aktuellen Sozialpolitik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung