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Kommentar Halbfinale gegen Türkeis FußballelfDoppelte Loyalitäten

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Alle Versuche, das Halbfinalspiel als Gradmesser für die Inregration in Deutschland zu stilisieren, sind verfehlt. Auch italienische Einwanderer der dritten Generation jubeln für die Squadra Azzurra.

Bild: taz

Daniel Bax ist Redakteur im taz-Meinungsressort

Dass sich Deutschland und die Türkei heute im Halbfinale der Fußball-EM treffen, ist eine Traumpartie - vor allem für die Fans der Türkei, hat ihr Land doch die Chance, sich auf dem Rasen jenen Respekt zu erspielen, den man im gegenseitigen Verhältnis sonst so häufig vermisst. In ihrem Nationalgefühl, das historisch zwischen Minderwertigkeitskomplexen und postimperialem Größenwahn hin und her schwankt, sind sich Deutsche und Türken eigentlich ziemlich ähnlich. Fußball bietet da eine gute Kompensation.

Alle Versuche, das Spiel als Gradmesser für die Integration in Deutschland zu stilisieren, sind jedoch verfehlt. Ist es so erstaunlich, dass viele, die hier geboren und aufgewachsen sind, heute Abend für die Türkei jubeln werden, obwohl sie das Land bestenfalls aus dem Urlaub kennen? Das ist, wenn die Squadra Azzurra aufspielt, auch bei vielen italienischen Einwanderern so, selbst wenn sie schon in der dritten Generation in Deutschland leben.

Türkischstämmige Migranten stellen die größte Gruppe unter den Einwanderern, deshalb fallen sie schlicht am meisten auf. Sie unterscheiden sich aber gar nicht so sehr von anderen Minderheiten - schon gar nicht in ihrem Fußballpatriotismus. Klar spielt es eine Rolle für die Identifikation, dass im deutschen Aufgebot kein türkischstämmiger Spieler steht, während im türkischen Team gleich zwei Spieler aus Deutschland stammen. Aber das war bei der kroatischen Mannschaft auch nicht anders und hat viel mit den Versäumnissen des deutschen Verbandsfußballs zu tun.

Mehrfach war die Befürchtung zu hören, nach dem Spiel könnte es zu Krawallen kommen. Aber das ist eher unwahrscheinlich, denn deutsche wie türkische Massenblätter haben die Partie schon vorab zu einer Art Freundschaftsspiel erklärt. Die Hürriyet forderte ihre Leser sogar auf, mit beiden Fahnen zum Spiel zu gehen. Die doppelte Loyalität ist durchaus glaubhaft. Denn wenn Deutschland gewinnt, dürften die meisten Deutschtürken beim Finale wieder der deutschen Mannschaft die Daumen drücken.

Was aber, wenn die Türkei gewinnt? Dann können auch jene Deutschen, die nicht türkischer Herkunft sind, ja mal versuchen, für die Türkei zu jübeln.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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2 Kommentare

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  • S
    s.fuchs

    "...hat die Türkei doch die Chance, sich auf dem Rasen jenen Respekt zu erspielen, den man im gegenseitigen Verhältnis sonst so häufig vermisst." Wäre froh, wenn der Respekt uns gegenüber auch gewährt werden würde. Ist ja leider nicht mehr so häufig der Fall.

     

    Na, wenn sich deutsche und Türkischstämmige Deutsche in ihrem Nationalgefühl ähnlich sind, braucht man sich über das grölende Gesindel grundsätzlich nicht mehr großartig aufregen. Läßt man es jenen durchgehen, kann man es den anderen auch nicht mehr verwehren. Was nationalistische Gefühle anbelangt, habe ich trotzdem bei Türkischstämmigen größere Sorgen. Immerhin gibt es bei der Mehrheit der Deutschen doch ein gesundes kritisches Bewußtsein bezüglich der eigenen Nation. Dagegen wird Nationalstolz in der türkischen Gesellschaft nie in Frage gestellt- schon gar nicht von Medien und politisch Verantwortlichen. Häufig artet dann das Nationalgefühl in Fanatismus aus. Und diesen, wo auch immer, kann man nicht tolerieren. Vielen Dank, Daniel Bax.

  • A
    anke

    Tolle Idee, die Fans könnten heute abend in trauter Gemeinsamkeit jedes einzelne Tor fähnchenschwenkend bejubeln - und zwar ganz unabhängig davon, wer es an welchem Tormann vorbei "geschossen" hat. Das würde nämlich bedeuten, dass es ihnen um das Zuschauen bei einem Spiel und nicht um den Kriegsdienst-Ersatz geht. Nicht auszudenken, was geschehen würde, würde das Doppelfähnchenschwenken irgendwann Tradition. Womöglich könnte sich dann sogar unsere fußballverliebte Kanzlerin für die Idee der doppelten Staatsbürgerschaft begeistern...