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Kommentar Häftlingsaustausch UkraineKleine Schritte zum Erfolg

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Am Mittwoch kam es zum bisher größten Austausch von Gefangenen der Kriegsparteien in der Ukraine. Beachtung verdient dabei die Rolle der Kirchen.

Große Freude am Boryspil-Flughafen bei Kiew, wo die freigelassenen ukrainischen Soldaten ankamen Foto: dpa

E s ist der größte Gefangenenaustausch in der Ukraine seit Beginn des Krieges im Donbass. 307 Ukrainer beider Seiten können nun Neujahr und anschließend das orthodoxe Weihnachten feiern. Diese Aktion trägt zu einer weiteren Deeskalation bei. Und so ist es auch schon ein Erfolg, dass wohl dank dieser Aktion der geltende Waffenstillstand weniger häufig verletzt wird als sonst üblich.

Bemerkenswert ist dabei die Rolle der Kirchen. So hatte das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill von Moskau, noch zwei Tage vor der Tauschaktion am 25. Dezember in Moskau im Danilow-Kloster mit Separatistenchef Alexander Sachartschenko und dem ukrainischen Unterhändler Viktor Medwetschuk zu klärende Einzelheiten besprochen. Und dem Empfang der freigelassenen Ukrainer auf dem Flughafen Charkiw wohnten die ansonsten zerstrittenen Patriarchen des Kiewer und des Moskauer Patriarchats einträchtig nebeneinander stehend bei. Auch ihnen spricht man eine Mitwirkung bei der Freilassung der 307 Ukrainer zu.

Die meisten der Freigelassenen dürften nicht mit der Waffe in der Hand in Gefangenschaft geraten sein. Unter ihnen sei niemand wegen eines schweren Verbrechens verurteilt worden, hatten ukrainische Offizielle verlauten lassen. Das heißt, dass man Personen freigelassen hat, die wegen einer weniger schweren Tat verurteilt worden sind. Schon früher hatten Menschenrechtler berichtet, dass man bereits für ein Like unter einen separatistischen Artikel vor Gericht gestellt werden kann.

Verwirrend sind bei diesem Gefangenenaustausch die Zahlen. Hatte Kiew noch am Tag zuvor von 306 Gefangenen gesprochen, die man den „Volksrepubliken“ übergeben wolle, waren tatsächlich am 27. Dezember 73 Personen weniger freigelassen worden.

Während 43 Personen angeblich aus freien Stücken nicht in die „Volksrepubliken“ wollten, hatte Kiew buchstäblich im letzten Augenblick alle russischen Staatsbürger von der Liste der Freizulassenden genommen. Denn die braucht man noch: als Tauschmaterial für die in Russland inhaftierten Ukrainer.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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