Kommentar Grundschulvergleich: Bayerische Helden
Der Leistungsvergleich der Grundschulen kommt zu dem Ergebnis: Tolle Bayern, doofe Berliner, Bremer, Hamburger. Als ob es darum ginge.
W ieder ist es an der Zeit, Beileidsbekundungen an bayerische Grundschüler zu schicken. Die Buam und Madln, sie können mal wieder alles besser, diesmal: lesen und schreiben, wie der Bildungstest ergeben hat, der keinen so schönen Namen trägt wie sonst – Pisa oder Iglu –, sondern schlicht und fürchterlich Grundschulleistungsvergleich heißt.
Aus einem Bundesland stammend, das bei Bildungsstudien traditionell schlecht abschneidet, und in einer Stadt lebend, die immer Schlusslicht ist, mag man unter Neidverdacht stehen, aber man möchte wirklich nicht in der Haut der Jungbayern stecken. Wie vermutlich bei allen Grundschulkindern hierzulande lasten auf ihren schmalen Schultern schon die Schulranzen mit all den Büchern und Heften viel zu schwer.
Doch sind sie es, die auch noch die Bürde tragen müssen, Jahr für Jahr, Studie für Studie als Retter, Helden, Zukunft einer sich ansonsten im Sinkflug befindenden Bildungsnation zu gelten: Ohne euch gehen hier bald die Lichter aus!
ist Leiter der sonntaz.
Und das aufgrund von Studien, die so wenig aussagekräftig sind. Weil sie seit je dieses Ergebnis liefern: tolle Bayern, doofe Berliner, Bremer, Hamburger. Weil ihre Ergebnisse – von Erkenntnissen kann ja keine Rede sein – nur dazu beitragen, den einen das Gefühl zu geben, zu einer Lesen-und-Rechnen-Elite zu gehören, und den anderen aufs Schulbrot zu schmieren, wie weit zurück sie sind.
Weil sie das Selbstbewusstsein im Süddeutschen beheimateter Politiker stärken, denen es daran aber ohnehin nicht mangelt. Weil der Vergleich zwischen den Realitäten in Flächenländern wie Bayern und Stadtstaaten zwar erlaubt ist, aber ein Gesamtergebnis in Form einer Rangliste gar nicht erbringen kann. In Bremen, Berlin, Hamburg lebt man einfach bunter, rauer, vielfältiger als im bayerischen Oberland. Kann man dort denn überhaupt etwas anderes tun als lesen und Hausaufgaben machen?
Alle schlottern sie wieder wegen dieser Studie, halten die Bildungskatastrophe für unumkehrbar, fordern Verbesserungen, sehen im Süden die Zukunft und sonst nur Düsternis.
Sie sollten gelassen darauf vertrauen, dass nicht allein vom Lesen und Rechnen unser aller Wohl abhängt. Dass es schön ist, wenn bayerische Kinder toll lesen können, dass die Kinder anderswo aber auch gewappnet sind für das, was diese Studien nie erfassen: das Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen