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Kommentar GrüneDie Grünen in der Zeitmaschine

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

In Nürnberg versuchen die Grünen wieder so zu tun, als hätten sie nie am Sündenfall Hartz IV mitgearbeitet. Die Umsetzung ihres neuen Konzepts dürfte aber recht schwierig werden.

Bei ihrem Parteitag in Nürnberg haben sich die Grünen eine Zeitmaschine gebaut. Die hat die Partei zurück ins Jahr 2002 gebeamt, in die gute alte Zeit vor dem Sündenfall Hartz IV. Die Ära der Agenda 2010 versucht sie ungeschehen zu machen. Aus der Vergangenheit katapultierten sich die Grünen dann ins goldene Zeitalter der sozialen Utopie. Mit dieser Abenteuerreise haben sie ihre Führung gerettet. Regierungstauglich für 2009 oder 2013 ist dieses Paket aber noch nicht.

Die Vorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer legten den Delegierten ein Konzept vor unter dem heimlichen Motto: "Hartz IV haben wir nicht gewollt". Die Führungsriege versuchte anzuknüpfen an das Programm der Grundsicherung, das man vor der rot-grünen Regierungszeit entwickelt hat. Um die Mehrheit in Nürnberg zu sichern, hat die Spitze den Anhängern des Grundeinkommens zusätzlich große Zugeständnisse gemacht. Die Grünen stellen nun in Aussicht, alle Sanktionen gegen Erwerbslose abzuschaffen, das Kindergeld massiv auf mehrere hundert Euro zu erhöhen und eine bedingungslose Förderung für Lebenskünstler einzuführen. Herausgekommen ist eine recht wilde Kombination aus praktischer Politik und Utopie, die der Dynamik des Parteitages geschuldet ist. Aber dieses Potpourri passt auch in eine Zeit, in der die Renaissance des Sozialen zu spüren ist.

Schwierig würde es, wenn man dieses Konzept umsetzen wollte. Ein Vergleich: Die große Koalition hat mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozent rund 25 Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaftet. Das grüne Programm in seiner heutigen Form würde locker den dreifachen Betrag kosten. Wem aber wollen die Grünen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um weitere 9 Prozent zumuten - oder Ähnliches?

Nichts gegen Utopie. Die Befürworter des Grundeinkommens sagen zu Recht: Eine gute Idee kommt nie zu früh. Aber man muss auch wissen: Bütikofer und Roth wollen vieles von dem nicht, was sie in Nürnberg akzeptieren mussten. Und bei den nächsten Regierungsverhandlungen wird der potenzielle Koalitionspartner der Zeitmaschine die Energie abdrehen - ähnlich wie im Jahr 2002.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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1 Kommentar

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  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Grundeinkommen und Konsumsteuer als soziale Basisinnovationen

     

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    Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist vor allem eines erfreulich: durch die Dramaturgie des GRÜNEN Bundesparteitags wurde der Begriff über alle Medien kommuniziert.

     

    Da aber die GRÜNE Grundsicherung wirklich das von den Medien beschworene Wolkenkuckuckseim ist, besteht für Politiker wie auch die BügerInnen die Möglichkeit den Realtraum Grundeinkommen- in einem Zeithorizont bis zum Jahr 2030 - zu realisieren.

     

    Eine soziale Basisinnovation wie das bedingungslose Grundeinkommen reicht für sich nicht aus, um Deutschland in eine ökosoziale, nachindustrielle Gesellschaft zu verwandeln. Hinzukommen muss noch der Paradigmenwechsel im Steuerwesen: weg von der Besteuerung der Arbeit hin zur Besteuerung der Werstschöpfung in Form der MwSt. Durch die zum 01. 01. 2007 erfolgte Erhöhung der MwSt haben wir mehr oder weniger bewusst einen weiteren Schritt hin zu einem konsumbasierten Steuerwesen gemacht ? als weiterer sozialer Basisinnovation. Würden wir die MwSt schrittweise erhöhen, könnten wir im Gegenzug ein bedingungsloses und substitutives Grundeinkommen als ausgezahltem MwSt-Freibetrag einführen.

     

    Ludwig Paul Häußner, Universität Karlsruhe (TH)

    www.unternimm-die-zukunft.de