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Kommentar GrüneWie wär's mit Inhalten, Grüne?

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Rot-Grün im Bund ist unwahrscheinlich. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist jetzt notwendig. Gegner wie die Piraten bieten offene Flanken.

D ie Grünen stecken in einem Dilemma. Mag vor gar nicht so langer Zeit mancher Parteistratege noch von einem eigenen Kanzlerkandidaten geträumt haben, geben die Umfragen jetzt nicht mal mehr die Wunschkoalition her: So, wie es im Moment aussieht, ist Rot-Grün im Bund unwahrscheinlich. Die SPD schwächelt, die Piraten stabilisieren sich, Merkel sozialdemokratisiert ihre CDU immer weiter – und in Krisen tendiert das Wahlvolk erfahrungsgemäß zur großen Koalition.

Bisher fährt die Grünen-Spitze eine eindeutige strategische Linie: Wir setzen auf Sieg. Und ausschließlich auf die SPD. Dahinter steckt die berechtigte Befürchtung, dass das eigene Klientel ein Liebäugeln mit der CDU hart bestraft – und lieber jemand anderen wählt. Wie empfindlich Grünen-Wähler auf Avancen in Richtung Christdemokratie reagieren, musste Renate Künast bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl bitter erfahren. Schwarz-Grün-Fans mögen das als unfair empfinden, schließlich haben Wähler der SPD auch kein Problem mit der CDU – doch ist dieser Effekt inzwischen klar bewiesen. Dass jetzt auch Grünen-Chef Cem Özdemir erstaunlich klar für diese Linie plädiert, zeigt nur, wie sehr sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat.

Diese Strategie birgt die Gefahr, irgendwann in die Lächerlichkeit abzudriften: Schon jetzt wirkt die demonstrativ vorgetragene Siegesgewissheit der Grünen-Spitzen manchmal realitätsfremd. Auch deshalb, weil sie eben nicht dazu sagen, dass der Partei im Zweifel wieder die Opposition droht. Denn genau dies ist die Wahl bei der derzeitigen Strategie. Es geht um alles oder nichts.

Bild: Anja Weber
ULRICH SCHULTE

leitet das Parlamentsbüro der taz in Berlin.

Inhaltlich aber handeln die Grünen nur konsequent. In einer Koalition mit der CDU müsste sich die Partei deutlich stärker verbiegen, als es in einem Bündnis mit der SPD der Fall wäre. Sie liefen Gefahr, von Merkel verschlissen zu werden, wie es bereits SPD und FDP passierte. Denn sicher ist: Viele WählerInnen würden schlicht nicht verzeihen, dass sich die Grünen Christdemokraten angedient hätten, die die Solarförderung für verzichtbar, das Betreuungsgeld aber für eine emanzipatorische Großtat halten.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist jetzt notwendig. Gegner wie die Piraten bieten offene Flanken. Wenn die Grünen ihre Stärken ausspielen, ist Rot-Grün immerhin noch eine Möglichkeit. Und auch in der Opposition lässt sich bekanntermaßen viel verändern.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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11 Kommentare

 / 
  • M
    max

    schade, dass der im übrigen ordentliche kommentar mit keinem wort darauf eingeht, dass es auch mehrparteienkoaltitionen als möglichkeit gibt und nicht schwarz-rot oder schwarz-grün die einzigen optionen sind. aber vielleicht trifft der kommentar auch da wiederum auf die grünen zu, denn die scheinen zu glauben links von ihnen beginne das böse.

    demnächst haben wir ein fünf-parteien-kabinett ohne fdp mit vier parteien links von der cdu und spd und grüne schlagen sich darum, wer angela den steigbügel halten darf.

  • S
    Seeräuberjens

    Wir hatten seinerzeit das A-Team Schröder/Fischer abgewählt.

    Wieso sollten wir jetzt ein B-Prominenz-Movie Steinmeierbrück/Trittin wählen?

  • CR
    Cathrin Ramelow

    @ alex

     

    das stimmt sicherlich für die GRünen, aber auch für alle anderen Parteien. zumindest die 4 parteien des Buprä Wahlvereines sind alle neoliberal und für die Umverteilung von unten nach oben. Auch wenn es in den Programmen und reden meist anders klingt.

    Bei der Linken ist es noch nicht so genau zu sehen wie sie sich denn verhalten. aber da wo sie in Regierungen mitsitzen oder sassen, haben sie sich auch nicht unbedingt mit ökologie und sozialem hervorgetan.

    Von daher finde ich alle Parteien nicht wählbar weil nicht unterscheidbar und lügen tun sie doch auch alle - die FDP hat vielleicht zu wenige Themen um lügen zu können.

    Und die meisten Deutschen wählen ja auch nicht mehr. Das ist eigentlich die größte Partei in diesem Land.

    Früher habe ich mal gedacht es müsste wenigstens das kleinere Übel gewählt werden - mittlerweile finde ich einfgach alle nur noch übel und ich würde es gut finden mal einen kompletten Wahlstreik zu machen.

     

    bis dahin

    eine schöne Zeit

  • C
    Celsus

    Ein wirklich guter Kommentar, der den Nagel auf den Kopf trifft. Die Grünen halten sich die Inhalte nach meinem Gefühl wirklich offen, damit ehrgeizige Führungsmitglieder der Partei mal wieder auf einem Ministersesselchen landen können. Zu frühe Festlegungen aus Idealismus schaden da doch nur.

     

    Und hinter den Kulissen findet eher eine Einigung über das Personal statt, als dass es mal um politische Inhalte ginge. Da kann erstaunlich schnell eine unterschiedliche politische Meinung nebensächlich werden oder ein Meinungswandel eintreten.

  • H
    Humboldt

    "Und auch in der Opposition lässt sich bekanntermaßen viel verändern."

     

    Aha?!

  • CW
    christian Wulff

    Die Inhalte der Grünen? Bestehen sie also eher in der Schützenhilfe zum Afghanistan oder in der Unterstützung zu den neoliberalen Ideen eines Herrn Hartz? Dass die Grünen mit der SPD können, haben sie also bewiesen, dass sie die Kanzlerin rechts überholen können, hat Trittin mit der Erfindung des Kandidaten "Gauck" hinreichend bewiesen. Ach ja, die Inhalte der Grünen...ökologisch, basisdemokratisch, pazifistisch...das nimmt doch nicht einmal das linke Feigenblatt Ströbele mehr ernst.

  • WA
    Wutbürger aus Stuttgart

    Die Grünen haben doch mittlerweile ihre Glaubwürdigkeit verspielt und sind unwählbar. Wenn ich mal ganz spontan die Grünen in der Bundespolitik auf drei Punkte reduziere, dann bleiben:

     

    - Angriffskrieg

    - Armut per Gesetz (Hartz4)

    - Deregulierung im Bankenbereich

     

    Alles das haben sie in den Jahren zusammen mit Gas-Gerd mitgetragen. Besser kann man seine ehemaligen Ideale gar nicht über Bord werden, um an die Fleischtöpfe der Politik zu gelangen.

     

    Dazu kommt dann noch in Baden-Württemberg Stuttgart 21, wo es von "stoppen" über "kritische-konstruktiv begleiten" zu einem großen Schweigen kam.

     

    Nein, die Grünen kann wirklich nur noch jemand wählen, der sich durch Greenwashing möglichst effektiv abzocken lassen möchte.

     

    Ansonsten: Unwählbar!

  • A
    axel

    Herr Schulte scheint sich sicher zu sein, daß die Grünen Inhalte haben, die sie vertreten und durchsetzen wollen.

    Hingegen zeigt sich mit jeder Wahl, daß den Grünen Inhalte völlig beliebig sind. Vor der Hamburg Wahl gegen Kohlegroßkraftwerk und Elbverteifung nach der wahl dafür, im Saarland gegen CDU-Koalition um in einer Jamaika-Koalition zu landen etc.

    Die Krux der Grünen ist, ihre Inhalte sind beliebig geworden, ihr Spitzenpersonal ist auf jegliche Koalition (außer mit der Linken) zugeschnitten, und die Grünen-Basis zieht immer, ohne Murren mit. Den Grünen geht es nur noch um Machtbeteiligung. Inhalte egal, solange sie sich im Spektrum der neoliberalen Agendapolitik mit Sozialabbau, Umverteilung von unten nach oben, Minijobs, etc. bewegen (das ist im übrigen die Konsequenz der auch von Herrn Schulte so betitulierten, angeblichen "Sozialdemokratisierung" der CDU).

  • M
    Markus

    Hab ich gerade Schwierigkeiten mit der Auffassungsgabe oder steht da tatsächlich, die CDU sozialdemokratisiere sich? Ich seh das ein bisschen anders rum. Die SPD ist inzwischen so weit rechts, dass die Linke ihren früheren Platz einnehmen musste.

  • H
    Hugo

    Die Grünen sind bereits dermaßen verbogen - die kann längst niemand mehr wählen, dem es auf die Verwirklichung ökologischer und sozialer Inhalte ankommt.

  • S
    Steffi

    Ich denke, die Grünen hams bei ihrem inhaltlichen Geeiere nicht besser verdient, aber was ich an der ganzen Sache 1000mal interessanter finde:

     

    Der Höhenflug der Grünen letztes Jahr verdankte sich ja auch nicht einer Periode von grünen Glanzleistungen sondern Fukushima.

    Ne Weile waren alle hinreichend aufgescheucht, um sich klar zu machen, dass auch neben dem Kindergarten der eigenen Kinder jederzeit ein Atomkraftwerk hochgehen könnte.

     

    Könnte es immer noch, aber nach noch nicht einmal einem Jahr ist Fukushima eben lange genug her, sodass man zu seiner alltäglichen Lethargie zurückkehren kann.

    Gleichzeitig ist Merkel genial wie immer auf einen (zumindest vorgeblichen) Anti-Atomkurs eingeschwenkt.

     

    Ich respektiere Merkel mehr und mehr und mehr, genau so wie ich ihre Wähler mehr und mehr und mehr verachte.

    Das deutsche Wahlvolk WILL doch einfach nur verarscht werden und Merkel beherscht das wie niemand sonst.

    Dafür soll sie ruhig die Lorbeeren kassieren. Ich gönne es ihr inzwischen.

     

    Als ob die Wähler wüssten, was sie wollten.

     

    Der grüne Höhenflug und der grüne Absturz hatten nichts mit grünen Leistungen zu tun sondern mit Präsens und Verblassen von Fukushima.

    Genauso wie Höhenflug und Absturz der FDP nichts mit ihren Inhalten zu tun hatten, die FDP ist sich selber und ihren Wahlversprechen inhaltlich treu wie KEINE ZWEITE deutsche Partei (Steuersenkungen, Steuersenkungen, Steuersenkungen...);

    das heißt zwar andererseits, die FDP ist sich selbst treu jenseits jeder Lernfähigkeit, aber das ist hier nicht mein Punkt.

    Mein Punkt ist, dass Schwankungen in der Wählergunst NICHTS, aber auch GAR NICHTS mit Inhalten und Leistungen der Parteien zu tun haben.

     

    Die Wähler scheißen nämlich auf Inhalte.