piwik no script img

Kommentar Grüne zum FiskalpaktDoch keine wahren Europäer

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Die Grünen im EU-Parlament verlangen, dass die Partei den Eurorettungskurs der Kanzlerin ablehnt. Doch viele Bundesgrüne befürchten, dann als Schuldenbremser zu gelten.

D as kommt davon, wenn man ehrgeizige Führungskräfte nach Europa abschiebt und dies als Ausweis der eigenen Europa-Kompetenz deklariert: Solche Leute machen dann Ärger. Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie haben Meinungen, die in Berlin quer runtergehen.

Der Streit zwischen Reinhard Bütikofer, Ex-Grünenparteichef, jetzt Kopf der deutschen Europaparlamentarier, und Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin ist dabei weit mehr als ein Gerangel zwischen gewesenem und aktuellem Grünen-Häuptling. Es geht vielmehr darum, wie ernst die deutschen Grünen ihre eigene Behauptung nehmen, die einzige wirklich europäisch denkende und fühlende Partei zu sein.

Bütikofer und mit ihm die große Mehrheit der europäischen Grünen-Fraktion und viele Linksgrüne verlangen, dass die Grünen Angela Merkels Eurorettungskurs ablehnen. Sie meinen, dass dieser bestenfalls in die Irre, womöglich aber in die wirtschaftliche und politische Katastrophe führt. Einen Fiskalpakt ohne einen Mechanismus, der die südeuropäischen Schulden wenigstens teilweise vergemeinschaftet, finden sie falsch.

Bild: privat
ULRIKE WINKELMANN

ist Leiterin des taz-Ressorts „Inland“.

Das finden nun eigentlich auch die meisten Bundesgrünen. Nur wollen sie nicht ihren Ruf als nachhaltigste SchuldenbremserInnen der Nation riskieren und bleiben deshalb lieber im Windschatten der Kanzlerin. Dort ist es sicherer. Ob Trittins Kalkül aufgeht, dass am Ende bloß Merkel dafür haftbar gemacht wird, wenn die Rechnung für Deutschland teurer wird als je befürchtet, sei dahingestellt.

Offensichtlich aber beweist das Zerwürfnis zwischen Brüssel-Grünen und Berlin-Grünen, dass die Partei ihr Versprechen, europäisch zu denken, nicht einhalten kann. Selbst dann nicht, wenn die eigenen Leute in Brüssel meinen, dass es drauf ankommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • HH
    Helmut Hahne

    Tja, irgendwie scheint der Aufenthaltsort die politische Meinung bei den Grünen zu bestimmen: die Brüsseler Grünen wollen mehr EU wie der gesamte Apparat in der europäischen Hauptstadt, und die Berliner Grünen haben den Bundeshaushalt und die Wähler in Deutschland im Blick. Letzteres ist übrigens verständlich: Wären die Grünen dafür, dass sich andere Euro-Länder (und mit ihnen möglicherweise korrupte Politiker) beliebig verschulden können und Deutschland dafür haftet, würden sie schnell in der Wählergunst sinken - auch bei der grünen Mittelschicht. Denn der ist die neue Kita im Kiez sicher wichtiger als die Yacht eines griechischen Beamten. Trittin zeigt bloß Instinkt.

  • KK
    Karl K

    Der Beobachtung von Ulrike Winckelmann - wo echte und wo nur taktische Mauleuropäer sitzen - kann ich nur zustimmen.

     

    Insgesamt tut sich die Nach-Kohl-Generation dabei arg schwer.

    Deren Gnade der späteren Geburt macht sie - insbesondere Schrägschisser wie Jürgen Trittin nicht notwendig zu gesettelten Europäern!

     

    Why not? Der Stein bestimmt bekanntlich das Bewußtsein.

    Als die Wahl Kohl vs. Schröder anstand, sagte mein Freund und Sangesbruder und hoher EU-Funktioner "… also aus unserer Sicht wäre es ja besser, wenn der Dicke wieder gewählt würde…! - ? - Nachdem ich mich von meinem Kirschbier-Verschluck-Huster erholt hatte:" du?…du warst sogar im SDS!"…" na schau, Kohl und seine Genaration in Europa hat fremde Militärstiefel im Wohnzimmer hautnah erlebt; egal was der Dicke macht, anstößt usw … er achtet immer darauf, daß und was die europäische Komponente ist . Für Gerd und Oskar ist Europe lediglich ein theoretischer Merkposten."

     

    Und das ist bei ehemaligen A/Olern, KBWlern, Maoisten usw noch stärker der Fall.

    Vor allem wenn sie keine in der Wolle gefärbte Demokraten geworden sind.

    Sondern immer noch das splienige Lied : " Die Partei, die Partei hat immer recht… "

    im Ohr haben.

  • N
    Nathan

    Hallo aufwachen!!! Wer glaubt denn heute noch ernsthaft, dass die Grünen grün sind? Grüne wohnen in gut situierten Wohngegenden, stimmen Kriegseinsätzen zu etc., die Liste ließe sich fortsetzen. Nein, die Grünen wollen "mit"-regieren, dabei ist es fast egal was die Inhalte sind. Normaler Politikbetrieb eben.

  • T
    thorsten

    Was mir nicht richtig klar wird, Frau Winkelmann: Was wäre denn nun die in Ihren Augen "wahrlich europäische" Lösung? Die Zustimmung zu ESM und Fiskalpakt (immerhin wird damit ja der Euro "gerettet" und damit Europa bekanntlich gleich mit) oder eine Ablehnung dieser Instrumente mit der Forderung nach einer noch weitergehenden Vergemeinschaftung, wie sie Bütikhofer und andere vertreten - das wäre ja immerhin "noch mehr Europa". Nur dass sie dazu die "Euro-Rettung" eben erst mal ablehnen müssten. Also doch antieuropäisch? Ihr Artikel mäandert zwischen diesen Positionen hin und her, ohne sich wirklich festzulegen - was Sie natürlich nicht davon abhält zu einem klaren Ergebnis zu kommen: "Wahre Europäer" seien die Grünen nun jedenfalls nicht. Aha.