Kommentar Google Street View: Größte Reklamefläche der Welt
Die Kritik an Google Street View schießt sicher übers Ziel hinaus. Aber auch wenn Google viele Geschenke macht – jedes hat seinen Preis. Auch Street View.
E s gibt kein Unternehmen auf der Welt, das so viele Geschenke macht. Google schenkte uns die beste Suchmaschine, mit Google Earth eine prima Navigationshilfe, ein Emailkonto, die Textverarbeitung Google Docs – und vieles mehr. Wie kann man jemandem böse sein, der so großzügig ist? Und doch hat Google Ärger - vor allem wegen Street View. Dabei ist auch das wieder so ein tolles Geschenk: Wer zum Beispiel eine Finca auf Mallorca buchen will, kann damit sehen, ob die Lage wirklich so "ruhig" ist, wie es im Prospekt beworben wird.
Vielleicht nutzen die Kritiker keine Google-Produkte. Sie schießen sicher übers Ziel hinaus, wenn sie verlangen, der Konzern solle sich von jeden Hausbesitzer einzeln eine Genehmigung zum Knipsen holen. Unter solch scharfen Bedingungen dürfte praktisch niemand mehr Schnappschüsse auf Flickr oder Facebook veröffentlichen; Fotojournalisten könnten gleich ganz die Arbeit einstellen.
Dennoch ist es ärgerlich, wie rücksichtslos Google mit der Privatsphäre umgeht. Warum müssen sich erst Leute beschweren, bevor Google es ermöglicht, kompromittierende Bilder zu entfernen? Wieso ist die Kamera 2 Meter 90 hoch angebracht und späht so über jeden Gartenzaun? Warum nicht auf Augenhöhe? Die Antwort ist simpel: Weil sich Google nicht auf Augenhöhe mit dem Rest der Welt fühlt.
MATTHIAS URBACH (43) leitet taz.de.
Letztlich dienen alle Google-Geschenke dazu, mehr über das Verhalten der Nutzer zu erfahren, um besser und gezielter Werbung verkaufen zu können. Damit macht Google bereits heute Milliardengewinne – Tendenz steigend.
Für dieses Ziel verschenkt Google Website-Analyseprogramme, speichert monatelang jede Suchanfrage, macht aus Gmail ein zweites Facebook. Auch aus Street View wird Google per Bildanalyse Daten weitere saugen. Noch wichtiger aber: Mit Street View baut sich der Konzern die größte Reklamefläche aller Zeiten.
Es wirkt wie ein mieser Trick, wenn hilflose Kommunen nun versuchen, Google wenigstens eine Art Sondernutzungsgebühr für Street View abzuverlangen, so wie sonst bei einem Marktstand. Angesichts der voraussichtlichen Nutzung der Daten wäre das aber nur konsequent.
Denn Google macht viele Geschenke. Aber jedes hat seinen Preis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen