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Kommentar Gesine LötzschWenn das Private politisch wird

Kommentar von Tom Strohschneider

Gesine Lötzsch ist als Linken-Chefin zurückgetreten – wegen ihres erkrankten Ehemannes. Die Entscheidung verdient Respekt, ihr Zeitpunkt wirft aber ein paar Fragen auf.

Ist der Rücktritt ein machtpolitischer Kompromiss? Und welche Rolle spielt Lafontaine? Bild: dapd

P olitische Rücktritte finden in diesem Land normalerweise nicht um 23.16 Uhr statt. Und sie werden eigentlich auch nicht per Email verbreitet. Am Dienstagabend hat Gesine Lötzsch mit dieser Regel gebrochen: „Nach reiflicher Überlegung“, erklärte sie zu später Stunde, habe sie sich entscheiden, „auf Grund der Erkrankung meines Mannes“ das Amt als Vorsitzende der Linkspartei niederzulegen. Die Gesundheit ihres 30 Jahre älteren Ehepartners Ronald, wie Lötzsch Sprachwissenschaftler, lasse „eine häufige Abwesenheit von meinem Wohnort Berlin nicht mehr zu“. Die Linken-Politikerin wolle sich in Zukunft auf ihr Bundestagsmandat konzentrieren.

Lötzschs Schritt verdient zuallererst einmal Respekt. Rücksicht auf erkrankte Familienangehörige steht in der Liste der politischen Rücktrittsgründe bisher nicht sehr weit oben. Und wenn Politiker nicht wegen schwerer Fehler oder als Unterlegene in Machtkämpfen ihr Amt niederlegen, sondern aus Gründen, die auf gleiche Weise genauso tiefe Einschnitte in die Biografien von „Normalbürgern“ hinterlassen, kommt einem die Distanz zwischen dem Souverän und seinen parteipolitischen Vertretern für den Moment etwas weniger groß vor.

Zumal in Zeiten, in denen viel über die Vereinbarkeit von privater Fürsorge und beruflicher Karriere diskutiert wird; übrigens auch und gerade auf der politischen Bühne: Erst vor ein paar Tagen erntete die SPD-Vizevorsitzende Manuela Schwesig breite Zustimmung unter Kollegen für ihre Kritik, dass Spitzenjobs in Parteien „nicht familienfreundlich“ seien.

privat
TOM STROHSCHNEIDER

ist Redakteur im Ressort „Meinung“ der taz.

Schicksalshafte Landtagswahlen

Das ist das eine. Das andere ist die politische Dimension der Entscheidung, die nicht zuletzt durch den Zeitpunkt Brisanz erhält, zu dem sie verkündet wurde. Immerhin wählt die Linkspartei in ein paar Wochen ohnehin eine neue Führung. Wie schon beim ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, der 2007 als Minister und Vizekanzler zurücktrat, um seine kranke Ehefrau zu pflegen, wird nun auch Lötzsch mit Fragen konfrontiert werden, ob hinter ihrem Schritt nicht doch andere Gründe stecken als familiäre.

Die Linkspartei steht vor zwei für sie geradezu schicksalshaften Landtagswahlen in Umfragen nicht besonders gut da. Um die Chance auf einen Wiedereinzug in die Landtage von Düsseldorf und Kiel zu wahren, hatte sich die Partei eine Auszeit von der seit Monaten schwelenden Personaldebatte verordnet – eine Diskussion, die Lötzsch mit ihrer Wiederkandidatur im vergangenen Herbst erst so richtig ins Rollen gebracht hatte.

Dies stieß in der Partei nicht gerade auf große Euphorie, gilt doch die Amtsperiode von Lötzsch und ihrem Ko-Chef Klaus Ernst als Zeit der zunehmenden Krise der Linken. Vor allem die langjährige Bundestagsabgeordnete stand in der Kritik. Abgesehen davon, dass die Vorsitzende mit ihrer Kandidatur auch die eine oder andere taktische Überlegung ihrer Spitzengenossen durchkreuzt haben dürfte.

Seit Monaten orakeln Linkspartei und Medien über eine Rückkehr von Oskar Lafontaine in eine bundespolitische Spitzenposition. Die Hoffnung in das Wirken des Saarländers sind ebenso groß wie die Differenzen zwischen ihm und ostdeutschen Landesvorsitzenden sowie Teilen des reformsozialistischen Lagers. So bedeckt sich Lafontaine in der Personaldebatte hielt, so vehement riefen ihn seine innerparteilichen Anhänger herbei.

Baustein eines Kompromisses

Dass er selbst nicht mit Lötzsch gemeinsam die Partei führen würde, galt in der Linken als so ausgemacht, wie es aufgrund der Proporz-Anforderungen unmöglich gewesen wäre, dass die Ostberlinerin neben dem Mecklenburger Dietmar Bartsch eine Doppelspitze bildet, der ebenfalls schon seinen Hut in den Ring geworfen hatte. Unlängst hieß es dann, der frühere Bundesgeschäftsführer und Lafontaine hätten ihren Streit beigelegt, auch von einer möglichen Vorentscheidung über das Personaltableau schon nach Ostern war die Rede.

So betrachtet erscheint Lötzschs Schritt gar nicht mehr so überraschend und rein privater Natur – eher wie der Baustein eines machtpolitischen Kompromisses, mit dem die Linkspartei in einer für sie schwierigen Situation versucht, ihre vielleicht letzten Chancen zu wahren, vor den Bundestagswahlen in die Offensive zu kommen.

Die zurückgetretene Vorsitzende, der in der Öffentlichkeit das Wörtchen „umstrittene“ wie eine reguläre Zusatzbezeichnung anhaftet, hat einen Hinweis in ihrer Rücktrittserklärung hinterlassen. Sie danke „allen Mitgliedern der Partei (...), die mich in meiner Arbeit unterstützt haben“. Es mögen am Ende zu wenig gewesen sein, um Lötzsch davon abzuhalten, bis zum Göttinger Parteitag der Linken im Juni ihre familiäre Sorge noch einmal hinter die Politik zurückzustellen.

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5 Kommentare

 / 
  • IH
    IMonika Heineccke

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    Frau Lötsch ist eine alte SED-lerin. Ich bin froh, daß sie weg ist. Am besten wäre es, wenn die Linken ganz verschwinden würden. Wagenknecht ist eine radikale Umstürzlerin, die gegen Demokratie ist. Aber hier sind sowieso nur SED Fans am Werke.

  • IQ
    Ignaz Quadratwurzel

    Vertrauenswürdig, verlässlich und standhaft, so hab ich sie in Erinnerung.

    Da sehe ich sie im krassen Gegensatz zu Frauen, wie Merkel, Löhrmann, Kraft und Nahles..

    Und da es ernst um ihren Mann bestellt sein muss,

    weil sie eigentlich zur Wiederwahl antreten wollte,

    wünsche ich ihr und ihrem Mann Glück!

    Ich glaube, sie war auch in der Zeit alleine mit Petra Pau im Parlament, als nur die Direktkandidaten der damaligen PDS wegen der 5% Klausel reinkamen - da hatte man den beiden allerhand Schikanen von Seiten der anderen Parteien zugemutet.

     

    Und die Linke kann vielleicht auch von der Offenlegung der Kreationistenmafia, die mit ihrem Antisemitenexorzismus über Ostern ihren Hokus-Pokus aufführte profitiren, immerhin hatten sich Wolfgang Gerhke und Inge Höger klar hinter Grass gestellt, und die Nicht-Fisch-Nicht-Fleisch-Seienden, die leider bei der Kampagne gegen die Gazahilfsflotte 2010 so gnadenlos auf die Graumannbehauptungen reingefallen waren, hielten sich diesmal ganz oder halb zurück.

  • U
    Unkenruf

    Also...

    kann man nicht mal eine so persönliche Entscheidung einfach NUR zur kenntnis nehmen, ohne da gleich irgendwelche Machtpolitik-Dimensionen reinzuinterpretieren?

    Das macht das anfängliche Lippenbekenntnis vom respekt mehr als hinfällig.

    Die gute geht eben. Aus persönlichen Gründen. Basta.

    und dann noch in den Dank ihrer Unterstützer etwas rein interpretieren? Also neee. Das ist doch einfach eine Floskel, die in jeder Rücktrittsrede vorkommt.

    Echt Taz, lasst es doch einfach mal gut sein.

  • AJ
    Anne & Jeanette

    Sie fragen in der "ENTSCHEIDUNG DES TAGES":

     

    "Gesine Lötzsch ist überraschend als Chefin der Linkspartei zurückgetreten. Die 50-Jährige war seit Mai 2010 zusammen mit Klaus Ernst Vorsitzende der Partei. Wer sollte Lötzsch im Amt nachfolgen?"

     

    Wir haben schon oft unter uns und zusammen mit anderen die Frage diskutiert, wie ein(e) PolitikerIn beschaffen sein muss, der voll unseren Vorstellungen und Idealen entspricht.

     

    Und immer wieder fiel ein Name, auf den wir uns alle einigen konnten: Sahra Wagenknecht.

     

    Sie verkörpert für uns all das Positive, was den anderen Politikern i. d. R. fehlt:

     

    Sachkenntnis, Durchblick, Überzeugungsfähigkeit, ein bewundernswertes Allgemeinwissen, Mut, Tapferkeit, Seriosität, Souveränität in der öffentlichen Debatte, in Talkshows, nicht von Machtgeilheit besessen, Wort und Tat stimmen bei ihr überein.

     

    Frau Wagenknecht hat mit ihren 42 Jahren schon 15 Bücher veröffentlicht, wie z. B. ihre neuesten Bücher

     

    Freiheit statt Kapitalismus: Über vergessene Ideale, die Eurokrise und unsere Zukunft (2012)

     

    Wahnsinn mit Methode: Finanzcrash und Weltwirtschaft (2008)

     

    Armut und Reichtum heute. Eine Gegenwartsanalyse (2007)

     

    in denen sie äusserst intelligent, faktenreich und überzeugend umfassend argumentiert.

     

    Jede Partei könnte stolz sein, wenn sie eine solche Politikerin an Ihrer Spitze hätte!

     

    Sie hat weitaus mehr Charisma als die Politiker unserer Einheitspartei CDU/CSU/Grüne/FDP/SPD mit Gabriel, Kauder, Rösler, Dobrindt, Steinbrück, Pofalla, Özdemir, Gröhe, Steinmeier, Ramsauer, Roth.........und sieht obendrein noch wesentlich 1000x besser aus als alle Genannten zusammen.

     

    Wir denken, das Frau Wagenknecht mit ihrem Auftreten, ihrer Charakterstärke und Zivilcourage, ihrem bemerkenswerten Wissen, am Besten geeignet ist, den Parteivorsitz zu übernehmen.

  • H
    hitzefrei

    Na endlich!

     

    Das fühlt sich fast so hoffnungsfroh an wie damals, als Egon Krenz abgetreten ist.