Kommentar Gas-Streit: Serbien rettet Sarajevo

Die Großstädter auf dem Balkan sind voll von der Gas-Misere betroffen. Dass ausgerechnet Serbien Gas nach Bosnien liefert, wurde als sehr positiv wahrgenommen.

Die Machtspiele zwischen Ukraine und Russland haben zumindest auf dem Balkan die Menschen ein bisschen näher an einander rücken lassen. Zwar sind die Auswirkungen des Gasstopps für die meisten Menschen auf dem Lande nicht so gravierend, da die Öfen oder Kachelöfen dort wie anno dazumal Holz oder Kohle verbrennen und auch bei tiefsten Minusgraden wohlige Wärme verbreiten. Doch die Großstädter mit ihren auf Gas basierenden "modernen" Heizungssystemen sind voll von der Misere betroffen. Sie sind, wie in der Not üblich, jetzt ein wenig aneinander gerückt.

In Sarajevo wurden sofort Erinnerungen an den Krieg wach, als während der dreieinhalb Jahren dauernden Belagerung durch serbische Truppen und den bitter kalten Winter damals Anfang der 90er Jahre die Stadt völlig von der Versorgung abgeschnitten war. Dass seit dem Wochenende ausgerechnet Serbien Gas nach Bosnien und damit auch für die 72 000 vom Gas abhängigen Haushalte in Sarajevo liefert, wurde als sehr positiv wahrgenommen. Der serbische Präsident Tadic habe in kürzester Zeit Gas für alle organisiert, während die eigenen Politiker geschlafen haben, lautet nun die öffentliche Meinung.

"Die Serben" haben "uns" geholfen, die Hilfe wird wie auf dem Balkan üblich sofort als kollektive Tat angesehen. Man stellt sich gar nicht die Frage, woher Serbien das Gas bekommen hat. Dass es aus Westeuropa, aus Deutschland via Österreich und Ungarn auf den Balkan geliefert wurde und nicht nur für Serbien bestimmt war. Und, dass die Hilfe aus Belgrad so selbstlos gegenüber Sarajevo auch wieder nicht ist. Denn das Gas für Teile der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina muss ohnehin durch Sarajevo geleitet werden.

Doch das gemeinsame Schicksal verbindet wieder. Und die Interpretation des Vorgangs zeigt, wie tief der Wunsch in Sarajevo verwurzelt ist, endlich wieder "normale" und positive Verhältnisse mit den östlichen Nachbarn zu haben, von Serbien aus sogar umsorgt zu werden. Es wäre ja auch zu schön, wenn diese Hoffnungen der Realität entprächen.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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