Kommentar Frühchen-Tode: Das finale Übel liegt anderswo
Wenn sich Pfleger und Schwestern die zur Hygiene nötige Zeit nehmen könnten, ließen sich wahrscheinlich viele Todesfälle verhindern.
N üchtern und akribisch ist nun dargelegt, wo beim Frühchen-Skandal geschlampt wurde. Die Eltern des letzten toten Frühgeborenen hatten dies nicht abgewartet. Sie nannten die Verlegung ihres Kindes in eins der kommunalen Bremer Krankenhäuser ein "Todesurteil". Verdenken können wird ihnen das niemand.
Die jetzt juristisch ausgeleuchteten Versäumnisse dürften als finales Übel beim Frühchen-Skandal konsensfähig sein. Aber eine solche Einigung verstellt zugleich den Blick. Denn alles, was auf dem Weg zwischen Labor und Senatorin verschlampt, verzögert oder vielleicht sogar verheimlicht wurde, es wäre womöglich gar nicht in die Welt gekommen - wenn das Krankenhauspersonal eine einfache Sache gehabt hätte: mehr Zeit, zum Händewaschen beispielsweise.
Nach allem, was man weiß, sind Krankenhauskeime vorerst nicht aus der Welt zu schaffen. Ihre Verbreitung nimmt eher zu, ebenso wie die Resistenzen durch übermäßigen Antibiotika-Gebrauch. Vergleichsweise leicht zu beeinflussen ist hingegen der Personalstand in den Kliniken.
Ob eine Beachtung aller Vorschriften die drei toten Babys in Bremen gerettet hätte, kann niemand sagen. Dass der Tod weiterer mit Krankenhauskeimen Infizierter verhütet wird, wenn die Pfleger und Schwestern sich die zur Hygiene nötige Zeit nehmen könnten, ist auch nicht sicher. Aber sehr wahrscheinlich.
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