piwik no script img

Kommentar Freiwillige für GeflüchteteMehr Geduld, weniger Adrenalin

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Seit einem Jahr schaffen wir das. Die dramatischen Bilder von 2015 sind den Mühen der Ebene gewichen. Die zu bewältigen, schafft Integration.

Ausbildung ist wichtig für die Integration – und kommt ohne dramatische Bilder aus Foto: dpa

E s war wie eine Reise in ein anderes Land, vor einem Jahr, als Angela Merkel ihren legendären Satz „Wir schaffen das“ im Fernsehen verkündet hatte. Im Hangar des Flughafens Berlin-Tempelhof standen Zelte, es sah aus wie in einem Katastrophengebiet. In der Kleiderkammer gaben Freiwillige gespendete Jeans und Winterschuhe an die Flüchtlinge aus, die täglich zu Hunderten in Berlin eintrafen.

Ein Hauch von Drama lag in der Luft, die Adrenalinzufuhr stieg, wozu die Medienberichterstattung mit den Bildern endlos scheinender Flüchtlingsströme beitrug. Es gab ein gutes Gefühl, Flüchtlingen Winterkleidung zu reichen oder in einer Erstunterkunft Gemüsereis auszuteilen. Ab und an schlich sich ein komisches Gefühl in den Hinterkopf: Hey, ist das hier nicht auch verdammt paternalistisch?

Die Frage ist immer noch da, aber sie stellt sich neu. Denn in der Freiwilligenarbeit sind andere Zeiten angebrochen.

Die Grundversorgung, die Freiwillige leisteten, weil der Staat versagte, spielt zwar stellenweise immer noch eine Rolle. Aber entscheidender werden jetzt die Einzelfallhilfen im Alltag mit seiner ­Bürokratie. Dazu gehört die Unterstützung bei der Suche nach einer Lehrstelle, nach einer Wohnung, die regelmäßige individuelle Nachhilfe in Deutsch.

Freiwilligenarbeit kann kein Ersatz für öffentliche Hilfen sein

Es erzeugt keine sichtbaren dramatischen Bilder, sich den Hintern platt zu sitzen als BegleiterIn für einen Flüchtling, der einen Termin beim Jobcenter hat. Man braucht Geduld, um regelmäßig mit einem oder einer Geflüchteten Dativ, Akkusativ, Artikel und Konjugationen im Deutschen zu üben, damit er oder sie eine Chance auf einen Ausbildungsplatz hat. Es kann frustrierend sein, Flüchtlinge zur Wohnungssuche zu begleiten. Erfolge lassen manchmal auf sich warten, Adrenalinkicks gibt es nicht, die Hilfeleistungen sind mühsam – aber sie entscheiden darüber, ob der oder die Geflüchtete es schafft, sich hier langfristig eine Existenz aufzubauen.

Und es gibt ein Problem: Viele dieser Freiwilligenjobs müssten eigentlich von bezahlten Kräften ausgeübt werden. Denn die Gefahr, dass ein Flüchtling von der Gutwilligkeit seines persönlichen ­Paten oder seiner Patin abhängig wird, die ist da. Freiwilligenarbeit kann kein Ersatz für öffentliche Hilfen sein. Sonst mündet sie in einen neuen Paternalismus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!