Kommentar Flughafen-Desaster: Wowereit wankt
Der Regierende Bürgermeister, das vermeintliche Glückskind, dem so vieles leicht von der Hand zu gehen schien, steht derzeit ziemlich entzaubert da.
E ine SPD-Regierungsfraktion, die ihm Knüppel zwischen die Beine wirft. Ein möglicher neuer Parteichef, der ebenfalls genug Knüppel auf Lager hat. Und nun die Megapanne beim zentralen Infrastrukturprojekt des Landes: Selten stand Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister stärker unter Druck. Auf dem Spiel stehen für ihn sowohl seine Glaubwürdigkeit als auch seine Durchsetzungsfähigkeit.
Noch am Montagvormittag wurde Wowereit in einer Agenturmeldung mit der Feststellung zitiert, dass es in Schönefeld Anfang Juni losgehe. Kaum 24 Stunden später soll alles anders sein. Das schürt ziemliche Zweifel an Wowereit – denn er ist der Aufsichtsratsvorsitzende der Flughafengesellschaft.
Vertrauen in Mitarbeiter
Natürlich muss ein politisch Verantwortlicher nicht selbst jedes Detail auf der Baustelle kontrollieren. Aber er muss dafür sorgen, dass es andere tun – Leute, denen er vertrauen kann. An dieser Stelle hat Wowereit versagt. Das wirft die Frage auf, ob er die Sache bei seinem zweiten Referenzprojekt – dem geplanten Weiterbau der Autobahn 100 – besser macht. Umso mehr, weil er demnächst möglicherweise mit einem Parteichef zurechtkommen muss, der in der Debatte über die A 100 zu seinen größten Gegnern gehörte.
Denn Jan Stöß, der potenzielle Nachfolger des jetzigen Landesvorsitzenden und Wowereit-Vertrauten Michael Müller, ist SPD-Kreischef von Friedrichshain-Kreuzberg. In diesen Bezirk würden sich die Fahrzeugmassen der A 100 ergießen.
Entzaubertes Glückskind
Wowereit, das vermeintliche Glückskind, dem so vieles leicht von der Hand zu gehen schien, der mit seinem Schnappi-Wahlplakat der SPD mutmaßlich mehr Stimmen verschaffte als zig Seiten Wahlprogramm – dieser Wowereit steht derzeit ziemlich entzaubert da.
Für diejenigen, die ihn nicht länger oder nur entmachtet im Amt sehen wollen, hat die jetzige Situation durchaus Konsequenzen – aber nicht die gewünschten. Denn falls Wowereit daran gedacht haben sollte, wegen des Linksrucks in der SPD über kurz oder lang hinzuwerfen, dürfte es damit nun vorbei sein. Abdanken in einem Moment des Scheiterns, der die gesamte Amtszeit überschatten würde? Nie.
Wowereit hat seine Schwächen – aber einmal herausgefordert, wird er zum Kämpfer. Die Grüne Renate Künast hat das bei der Abgeordnetenhauswahl leidvoll erfahren. Jetzt sind es seine parteiinternen Gegenspieler, die sich auf etwas gefasst machen können.
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