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Kommentar FlüchtlingspolitikFrontex' Auftrag ist das Problem

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die Menschenrechte werden in Europa nicht in Frage gestellt. Doch Flüchtlinge, die Ansprüche stellen könnten, werden kurzerhand ferngehalten.

V om Offshore-Prinzip leben ganze Staaten: Steueroasen etwa, die das Kapital von allen lästigen Verpflichtungen befreien, ohne dass dafür allzu offen gegen geltendes Recht verstoßen werden müsste.

Ganz ähnlich verfährt Europa im Bereich der Menschenrechte: Die Buchstaben der völkerrechtlichen Konventionen tastet es nicht an - doch jene, die als Flüchtlinge daraus lästige Ansprüche stellen könnten, werden kurzerhand aus dem Bereich der eigenen Jurisdiktion ferngehalten.

Genau diese Praxis hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Mittwoch verurteilt: Auch auf Hoher See gilt das internationale Füchtlingsrecht, sofern ein Unterzeichnerstaat ins Spiel kommt. Asylanträge müssen geprüft werden, der Rechtsweg muss Flüchtlingen offen stehen, so die Richter.

Sie griffen damit eine zentrale Strategie des europäischen Grenzregimes an. Denn das sofortige Zurückschieben von "Papierlosen" ist keine Form der Notwehr, wie Italien es glauben machen will; keine Folge vermeintlich übermäßiger Belastungen durch die Ankunft "Papierloser". Es ist vielmehr Teil der Umsetzung einer wohldurchdachten Strategie: Flüchtlingen den Zugang zu Europa zu verschließen und die unverändert gültige Genfer Konvention so gar nicht erst zum Tragen kommen zu lassen.

CHRISTIAN JAKOB

ist Redakteur der taz.

Die EU hat dafür die Grenzschutzagentur Frontex aufgebaut, die längst eine eigene Außenpolitik betreibt. An Europas Außengrenzen werden Ankömmlinge aktiv gehindert, ihr Recht auf ein Asylverfahren geltend zu machen; teils durch Zurückschieben, teils durch sogenanntes Migrationsmanagement.

Das funktioniert nur dank einer - mal erkauften, mal erzwungenen - Zusammenarbeit: So, wie Berlusconi es einst mit Gaddafi vorgemacht hat, gemeindet Frontex heute EU-Anrainer im Osten und Süden als Hilfsgrenzschützer ein. Das ist sein Auftrag - und der ist das Problem. Diese Lehre muss Europa aus dem Straßburger Urteil ziehen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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7 Kommentare

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  • S
    Schgweizer

    "tommy"

    Da haben Sie wohl ein massives Problem mit der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes, oder?

    (An anderer Stelle, Spanien, haben Sie einen Richterspruch massiv verteidigt).

    Geben Sie doch einfach zu, dass der Richterspruch nicht in Ihr Weltbild passt. (Diese verdammten manipulierenden Richter). In dieser Zeit hat das Recht auf Asyl seine Berechtigung verloren, oder was? Und wie sollten denn Menschenrechte Ihrer Meinung nach verstanden und ausgelegt werden, um nicht "manipuliert" werden zu können?

    Die Migrationsströme, die Sie erwähnen, gibt es längst. Und es ist völlig richtig und in Ordnung, dass der EG die legitimen Ansprüche einiger Flüchtlinge (und nicht: "Flüchtlinge", wie übel) geprüft und anerkannt hat.

    Was meinen Sie, was Europäer so alles ablehnen würden, wenn sie gefragt würden?

  • KB
    Karin Bryant

    Die Globalisierung wird sehr bald die ganze Welt gleich arm machen,wie leicht das passieren kann sieht man jetzt schon in vielen Ballungsgebieten.

    wenn dann niemand mehr in der Lage ist seinen Lebensunterhalt adequat zu bestreiten,sollten die Befuehrworter der Aufnahme von immer mehr Armutsflüchtlingen ja zufrieden sein,nur wollen wir das????

  • U
    unglaublich

    Ich kann die Kommentare vor meinem einfach nicht verstehen. Leute, es geht hier um Menschen!!! Ist euch das eigentlich klar? Das sind Menschen mit Träumen, Gefühlen und Zielen. Menschen wie du und ich, die am liebsten in ihrer Heimat bei ihren Familien bleiben würden, aber leider fliehen müssen - vielleicht vor Krieg und Verfolgung, vielleicht auch vor Hunger und Armut. Es ist ja wohl eine Binsenweisheit, dass unser Reichtum in Deutschland auf der Ausbeutung anderer Länder beruht. Und wenn dann Leute aus diesen Ländern hierher kommen wollen, dann lässt man sie auf dem Mittelmeer absaufen. Wenn ein Fischerboot vorbeikommt und die Schiffbrüchigen rettet, dann stellt man die Fischer wegen Schlepperei vor Gericht. Informiert euch, wenn ihr das nicht glaubt. Und schaltet mal die Vorurteile aus und das Herz an.

  • T
    tommy

    Warum geben Leute wie Christian Jakob nicht einfach zu was sie wollen: Masseneinwanderung in Millionenhöhe von Afrika nach Europa. Das Verschanzen hinter dem Asylrecht (geschaffen in einer anderen Zeit; bei vielen "Flüchtlingen" offenkundig nur vorgeschoben) und Menschenrechten (so wie heute verstanden erst eine Erfindung der letzten Jahrzehnte, die von Juristen und Interessengruppen fast beliebig erweiter- und manipulierbar ist) dient doch nur der Verschleierung dieses Sachverhalts und soll durch die humanitäre Hintertür Migrationsströme ermöglichen, die von einem Großteil der Europäer - wenn sie gefragt würden - kategorisch abgelehnt würden.

  • PA
    Problem Asylrecht

    Asyl ist es, wenn man einem politisch verfolgten temporär eine sichere Unterkunft bietet. Das ist ein edles Ziel und nicht umsonst in unseren Gesetzen verankert.

    Das Problem ist, dass Asylverfahren mit Widerspruch und Widerspruch zum Widerspruch und Klage vorm EGH Jahre in Anspruch nehmen. Somit wird Asyl zur Einwanderung misbraucht. Es ist eine regelrechte Asylindustrie entstanden die profimäßig mit Fahrzeugen/Booten leute aus ganz Afrika an die Mittelmeerküste karrt. Frontex bekämpft, sogut es ihr möglich gemacht wird, organisiertes Verbrechen.

  • FG
    Frontex - gefällt mir!

    Ich finde Frontex eine tolle Sache. Kennt jemand eine Spendenadresse von denen? Ein paar Euros ist mit der Schutz vor Illegalentsunamies wert.

  • V
    vic

    "Migrationsmanagement", "Willkommenslager".

    Widerliches Vokabular.

    Frontex klingt wie ein Schädlingsbekämpfungsmittel, und nach deren Auffasung soll Frontex auch so wirken.