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Kommentar FlüchtlingsfrageBoatpeople und europäische Ignoranz

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Seit Monaten interveniert die Nato in Libyen, aber niemand interveniert, um den tausenden von Flüchtlingen zu helfen. Die deutsche Rolle ist hierbei besonders unrühmlich.

W ie viele Libyen-Kriegsflüchtlinge müssen noch sterben, bevor Europa aufwacht? Ob es 1.000, 1.200 oder 1.650 sind - die Zahl der Afrikaner im Mittelmeer, die die Flucht nach Europa nicht überlebt haben, ist bereits höher die Zahl der getöteten Libyer im März, die die UNO veranlasste, ein Mandat zum militärischen Eingreifen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung zu erteilen.

Seit Monaten dient dieses UN-Mandat nunmehr der Nato als Grundlage für ihren Luftkrieg gegen Gaddafi. Aber niemand interveniert zum Schutz der fliehenden afrikanischen Migranten.

Deutschland spielt dabei eine besonders unrühmliche Rolle. Die Bundesregierung hält sich bis heute aus dem internationalen Militäreinsatz in Libyen heraus mit dem Argument, es zähle eine politische Lösung - für deren Zustandekommen sie allerdings nicht das Geringste unternimmt. Jetzt hält sie sich auch aus der Flüchtlingsaufnahme heraus mit dem Argument, es zähle die humanitäre Hilfe vor Ort - aber auch dafür tut Deutschland nichts, außer 7 Millionen Euro zu zahlen; ein lächerlicher Betrag angesichts eines UN-Hilfsappells, 400 Millionen Dollar bereitzustellen.

Bild: taz

DOMINIC JOHNSON leitet das Auslandsressort der taz.

Diese Ignoranz ist atemberaubend. Flüchtlinge zu retten ist schließlich der klassische Fall humanitärer Intervention. Humanitäre Hilfsflotten haben bereits zehntausende Menschen aus dem belagerten Misurata befreit. Aber zehntausende weitere suchen Schutz, in Tripolis und in anderen libyschen Städten.

In den höllischen Wüsten des Tschad waren noch vor wenigen Jahren mehrere tausend EU-Soldaten zum Schutz von Kriegsflüchtlingen aus Sudans Kriegsregion Darfur im Einsatz, und bis heute stehen französische Truppen im Land. Aber die Entsendung von militärischen Hilfskonvois dorthin zur Versorgung und Rettung von zehntausenden verdurstenden Afrikanern, die aus Libyen auf überladenen Lkws durch einige der unwirtlichsten Gegenden der Welt tuckeln, übersteigt offensichtlich die europäische Vorstellungskraft.

Wenn einmal in Libyen alles vorbei ist und ein demokratisch gesinntes Übergangsregime die Gaddafi-Diktatur abgelöst hat, werden hochbezahlte europäische Experten die libyschen Hotels füllen und Lehren über gute Regierungsführung und rechtsstaatliche Vergangenheitsbewältigung erteilen. Und wenn man ihre Ratschläge nicht hören will, werden sie es überhaupt nicht verstehen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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7 Kommentare

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  • U
    Uncas

    Nochmal, tazler. Warum zensiert ihr hier: Doc Johnson hat vor ein paar Wochen noch kriegslüstern vom schnellen sauberen Krieg geschwaffelt, im Miami Vice Stil... sagt man das in nem Kommentar erscheint er nicht!

  • J
    Jodelsusi

    Lieber Dominik Johnson,

    ich möchte mich schon lange mal für Ihre guten Artikel bedanken, aber für diesen Kommentar umarme ich Sie.

  • RK
    Reinhild Kim

    Lieber Dominic Johnson,

    ich bin sehr beeindruckt von Ihrem Kommentar und begeistert, dass er auf Seite 1 der taz erscheint. Hoffentlich lesen ihn viele Menschen, und verstehen ihn auch. Empört euch! Aber dann mischt euch auch ein!

    So sagt es Stephane Hessel, der nach dem Überleben von Buchenwald und der Arbeit an der UN-Menschenrechts-Charta wohl glaubwürdig genug ist.

    Unsere Regierung sollte sich nicht nur empören, sondern jetzt auch engagieren. Liebe Leute, macht Druck, indem Ihr den Choucha-Appell von medico international unterzeichnet: Fluchtwege öffnen, Flüchtlinge aufnehmen!

    http://www.medico.de/themen/menschenrechte/migration/dokumente/choucha-appell/4021/

     

    Reinhild Kim

  • G
    gecko

    Hier werden sich noch viele wundern, die meinen ihre eigenen Pfründe verteidigen zu müssen. Die EU und vor allem auch die deutsche Wirtschaft tut den afrikanischen Staaten mit Esportsubventionen usw. unendliches Unrecht und wir leben auf Kosten der Menschen in Afrika in einer Wohlstandsgesellschaft. Das rächt sich, indem diese Menschen ihre Staaten verlassen. Ich bin seit vielen Jahren (zahlendes) Miglied von Pro Asyl, ich rate allen, ihre Position einmal sehr rational zu überdenken. Entweder über diese Politik der EU hart zu demonstrieren, oder den afrikanischen Menschen auch ein lebenswertes Leben zuzugestehen. Anders wird es nicht gehen!

  • S
    Slobo

    Unsere Regierung ist einfach nur ein Witz. Sie wollte den Menschen helfen, die von Gaddafi abgeschlachtet werden. Erst hatte sie die Chance militärisch einzugreifen und jetzt ganz diplomatisch Flüchtlinge aus Lybien aufzunehmen. Beide Chancen wurden nicht genutzt.

     

    Eine Beteiligung am Militäreinsatz hätte bei der nächsten Wahl garantiert Wählerstimmen gekostet. Das Aufnehmen von Flüchtlingen wahrscheinlich ebenso. Deswegen macht die Regierung einfach mal garnichts - wie eigentlich immer. Wir bekommen gerade von dieser Bande unfähiger, ignoranter Machtpolitiker gezeigt, dass ein Menschenleben heute fast garnichts mehr wert ist. Was zählt ist Macht - und das um jeden Preis.

  • H
    Hintersinnig

    Herr Johnson, Sie haben recht. Ich bin sicher kein Wähler der gegenwärtigen Oppositionsparteien, aber das Verhalten unserer Regierung finde ich zutiefst beschämend.

  • S
    Sabine

    Warum soll Deutschland Illegale aufnehmen? Die anderen zerbomben Libyen und wir können dann wieder aufräumen. Nene, so nicht! Unsere Regierung handelt richtig. Mit einer kleinen Einschränkung, die Steuerzahler wurden nicht gefragt ob sie die 7 Millionen Euro Hilfsgelder schultern wollen!