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Kommentar FlüchtlingscampsRückfall in trennende Konzepte

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Flüchtlinge haben sich bundesweit gegen staatliche Gängelung solidarisiert. Die mediale Aufmerksamkeit war groß. Jetzt zerfällt die Bewegung.

Der Flüchtlingsmarsch von Würzburg nach Berlin Bild: reuters

E s lief so richtig gut. „Tagesschau“, Twitter-Hashtag-Hitliste, Spenden in sechsstelliger Höhe, Empfang im Bundestag. Der Erfolg der Flüchtlingsstreiks, die sich im letzten Jahr dominoartig über ganz Deutschland verbreitet hatten, war enorm.

Die Flüchtlinge verweigerten sich kollektiv der Disziplinierung durch den Staat. Sie entkamen dem zermürbenden, monotonen Leben im Lager, der aufgezwungenen Isolation, und „höhlten rassistische Gesetze aus“, wie sie sagten. Und hielten dafür den Kopf hin. Denn viele der Asylsuchenden und Geduldeten wurden von den Ausländerbehörden für die Regelverstöße bestraft.

Ihren Forderungen sind sie aber nicht näher gekommen. Die Residenzpflicht ist bundesweit immer noch in Kraft. Lagerzwang, Essenspakete und faktische Arbeitsverbote sind vielerorts noch immer gängige Praxis.

Im Juni bauten deshalb die „Non-Citizens“, die „Nicht-Bürger“, wie sich eine Fraktion der protestierenden Flüchtlinge nennt, in München ein Protestcamp auf. Es dürfte sich, grob geschätzt, etwa um das fünfzehnte dieser Art seit Anfang des letzten Jahres gehandelt haben. Sie stellten das Trinken ein und verlangten von der CSU-geführten Landesregierung, ihnen politisches Asyl zu gewähren. Sofort.

Es lief gar nicht gut. Viele brachen zusammen und mussten ins Krankenhaus. Die CSU fand es angebracht, den Protest der übrig gebliebenen mit Gewalt auflösen zu lassen. Sie schickte Festnahmeeinheiten der Polizei.

Marsch nach München

In diesen Tagen sammeln sich die Non-Citizens, die per Definition alle bereits anerkannten Asylbewerber als Subjekte des Protests ausschließen, in Franken. Dort, wo der 600-Kilometer-Marsch im letzten Oktober begonnen hatte. In einer Woche wollen sie wieder marschieren. Zurück nach München. Und genau dort weitermachen, wo die Polizei sie kürzlich gestoppt hat.

Auch die Berliner Flüchtlinge, die seit fast einem Jahr in der Innenstadt campieren, denken immer lauter über einen neuen Marsch nach. Sie wollen jetzt zu Fuß nach Brüssel laufen. Und dann? Per Floß zur UN nach New York?

Das Berliner Camp gehört in der politischen Landschaft Kreuzbergs fast schon zum Inventar. Gesprochen wird über das Camp in letzter Zeit vor allem, wenn es um die Frage nach einer möglichen Räumung geht, die unter anderem rechte Medien und Politiker verlangen. Auch seitens der Anwohner und der türkischen Gemeinde hat sich der Druck verstärkt. Die Flüchtlinge sind aus der Offensive, in der sie die Nachrichten bestimmten, in die Defensive geraten. Statt ihre Forderungen weiter verfolgen zu können, müssen sie jetzt Abwehrkämpfe führen.

Ermüdete Öffentlichkeit

Die werden sie nicht dadurch gewinnen, dass sie die Aktionen des letzten Jahres einfach wiederholen oder weiterführen. Auch nicht, wenn sie eine Nummer größer ausfallen. Denn die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie können sie nicht außer Kraft setzen. Kein Missstand ist groß genug, als dass die Öffentlichkeit seiner unveränderten Beklagung nicht früher oder später müde würde. Das gilt auch für die Flüchtlingsproteste.

Immer mehr Aufwand ist nötig, um sich in den Schlagzeilen und auf der politischen Agenda zu halten. Doch das wird schwierig: Die Ressourcen einer Bewegung, in der kaum einer Geld verdienen oder sich frei bewegen darf, sind denkbar knapp. Und eine Strategie, die Proteste immer spektakulärer zu gestalten, wird an physische Grenzen stoßen.

In den letzten Wochen kamen immer neue Orte des Protests hinzu: Etwa Bitterfeld, Hamburg, Eisenberg, Eisenhüttenstadt oder Stuttgart. Doch es gelingt immer weniger, das Nebeneinander der Aktionen zu überwinden, sie kollektiv zueinander in Beziehung zu setzen, die einzelnen Fraktionen und ihre Vorhaben zentral zu bündeln.

Die Aufmerksamkeit für ihren Widerstand galt nicht nur der Radikalität ihrer Aktionsformen, sondern auch ihrer Neuheit. Es liegt in der Natur der Sache, dass es damit irgendwann vorbei ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich ihre in den letzten 18 Monaten gewonnenen Stärken, die diskursiven Verschiebungen, die entstandenen Netzwerke, nicht konsolidieren oder gar ausbauen ließen.

Ein Schritt aufeinander zu

Die Flüchtlinge waren am stärksten, bevor die Fraktionierungen einsetzten. Sie stammen aus verschiedenen Ländern und Ethnien, leben in ganz Deutschland verstreut und haben unterschiedliche Aufenthaltstitel. Die gemeinsamen Proteste waren nicht nur ein Schritt in die Öffentlichkeit, sondern auch aufeinander zu. Darauf könnte, ja müsste ihre Bewegung aufbauen.

Stattdessen haben sich tiefe Risse gebildet. Schon wenige Tage nach dem Marsch nach Berlin spaltete sich die erste Fraktion ab und zog zum Brandenburger Tor. Diese Fragmentierungen setzten sich fort: Entlang ethnischer – wie Iraner vs. Subsaharis – und strategischer Linien – autonome Zellen vs. gemeinsame Organisation – zerfledderte die von ihnen selbst so getaufte „Refugee Revolution“. Das macht es jenen leicht, die sie ignorieren wollen.

Flüchtling zu sein ist auch eine zugewiesene Zwangsidentität. Einen individuellen Umgang damit zu suchen, ist legitim, manchmal gar lebenswichtig. An der Notwendigkeit, das Gemeinsame zu suchen, kommen sie trotzdem nicht vorbei. Möglich ist das ganz ohne Verrenkungen: Denn die rechtliche Degradierung, der der Staat sie alle unterwirft, ist im Wesentlichen die gleiche. Die Debatten aller Teile der Flüchtlingsbewegung liefen deshalb in den letzten 15 Jahren auch auf die immer gleichen Forderungen hinaus: voller Arbeitsmarktzugang, keine Lager, Residenzpflicht und Sachleistungen, Bleiberecht.

Auch wenn sie auf Erfolge aus den letzten Jahre aufbauen können: Die Erfüllung dieser Forderungen ist nicht ohne Weiteres zu haben. Die politische Großwetterlage wird daran in absehbarer Zeit nichts ändern. Umso mehr schadet den Flüchtlingen eine Zersplitterung. Ob der für viele verführerische Rückfall in ethnische Fraktionen oder die Etablierung neuer, trennender Konzepte wie jenem des „Non-Citizen“: All dies macht aus einer großen Bewegung viele kleine. Besser wäre das Gegenteil.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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11 Kommentare

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  • Kritik an Methoden des Protests zu üben ist immer einfach...

     

     

     

    Fakt ist erst mal, dass seit dem Beginn der Proteste in letzten Jahr, der Prrotest nicht nachgelassen hat. Ganz im Gegenteil... in ganz Europa, in verschiedenen Städten und Dörfern Deutschlands protestieren Geflüchtete. Es geht um Empowerment und da ist der Protest durchaus sehr erfolgreich. Die Bustouren, Märsche etc. sind anders als der Autor und viele weiße Deutsche glauben nicht nur an sie gerichtet, sondern dienen insbesondere des eompowernsm des ermutigens, des vernetztens. Nicht immer geht es nur um Schlagzeilen.

     

     

     

    Das dann in den verschiedenen Orten, verschiedene Selbstbezeichnungen existieren, dass neben dem prekären Alltag auch die Zeit für Debatten der Selbstpositionierung bleibt ist eine Stärke des Protests. Das sich Porteste manchmal an Sprachgrenzen voneinander abtrennen ist wohl naheliegend.

     

     

     

    Ich persönlich bin überrascht von der Stärke, der Ausdauern und der Vielseitigkeit des Protests.

     

     

     

    Und das sich irgendwelche Zeitungen lieber auf rassitische Hetzkampagnen konzentrieren könnte auch als eine Angstreaktion um die weiße Vorherrschaft interpretiert werden.

  • „All dies macht aus einer großen Bewegung viele kleine. Besser wäre das Gegenteil.“:

     

     

     

    Reines Wunschdenken. Denn Zerspitterung ist ein typisches Merkmal linker Gruppierungen.

     

     

     

    Schon Monty Python machen sich im „Leben des Brian“ darüber lustig:

     

     

     

    Der Anführer der „Volksfront von Judäa“ macht im Film klar: „Die einzigen, die wir noch mehr hassen als die Römer … sind die von der scheiß Judäischen Volksfront.“

    • R
      Really?
      @Rosa:

      "Zersplitterung ist ein typisches Merkmal linker Gruppierungen"

       

       

       

      Hüstel.

       

       

       

      NPDVURepsProNRWProDDieFreiheitAfDDieRechteAbjetzt...DemokratiedurchVolksabstimmungBundfürGesamtdeutschlandDeutscheKonservative ...

      • @Really?:

        „Hüstel.“:

         

         

         

        Ihr Beitrag ist leider völlig ungeeignet. Da Ihnen dies scheinbar nicht bewußt ist, ist er überdies noch unfreiwillig komisch.

         

         

         

        Sie differenzieren nicht mal zwischen rechts und konservativ, sondern schmeißen alle vermeintlich rechten Strömungen in einen Topf.

         

         

         

        Dies wäre dann ein Spektrum sog. Rechter Parteien.

         

        Dies zeigt die Vielfalt vermeintlich rechter Parteien, hat aber nichts mit Zersplitterung zu tun.

         

         

         

        Zersplitterung bedeutet, daß sich eine Partei in zahlreiche Gruppierungen aufspaltet, die noch dazu untereinander verfeindet sein können.

         

         

         

        Dies ist ein typisches Merkmal linker, nicht rechter Parteien:

         

         

         

        http://de.wikipedia.org/wiki/KPD#Ab_1968.2F69:_Zersplitterung_.E2.80.93_DKP_und_Gr.C3.BCndungen_unterschiedlicher_K-Gruppen_in_Westdeutschland

         

         

         

        http://de.wikipedia.org/wiki/K-Gruppe#K-Gruppen_in_der_Bundesrepublik_Deutschland_.28nach_Gr.C3.BCndungsjahr.29

        • R
          Really?
          @Rosa:

          „Sie differenzieren nicht mal zwischen rechts und konservativ, sondern schmeißen alle vermeintlich rechten Strömungen in einen Topf.“

           

           

           

          Sie differenzieren ja offensichtlich auch nicht zwischen links und kommunistisch bzw. setzen das in eins – so what?? Gleiches Recht für alle, oder?

           

           

           

          Abgesehen davon hat diese „Vielfalt“ natürlich auch was mit Zersplitterung im rechten Spektrum zu tun – und so wird es ja auch immer und immer wieder im rechten Spektrum selbst beklagt.

           

           

           

          Beispielsweise schreibt ein rechter Blog:

           

           

           

          „Zersplitterte Rechte

           

           

           

          Am Wochenende hat Pro Deutschland auf einer Mitgliederversammlung in Dresden überraschend einen bundesweiten Antritt zur anstehenden Bundestagswahl 2013 beschlossen. Gemäß Rechenschaftsbericht für das Jahr 2011 verfügte PRO D unter Manfred Rouhs und Lars Seidensticker über knapp 300 Mitglieder. Rouhs und Seidensticker wollen in den nächsten Wochen in allen 16 Bundesländern die benötigten Landeslisten aufstellen und die nötigen Unterstützungsunterschriften – etwa 32.000 Stück – sammeln.

           

           

           

          Das gleiche Ziel haben auch die Republikaner, die in diesem Jahr zu Gunsten von PRO NRW auf eine Teilnahme an der vorgezogenen Landtagswahl verzichtet haben. Die Freien Wähler, die Freiheit und die VS-NPD haben ebenfalls ihre Kandidaturen angekündigt. Die Lage ist außerordentlich verworren und skurril.

           

           

           

          Durch die gegenseitigen Kandidaturen im freiheitlichen Spektrum dürfte unnötige wieder Porzellan zerschlagen werden und die bundesweiten Erfolgsaussichten weiter schmälern.“ etc.

           

           

           

          Also warum bitte sollte ich keinen Topf beschreiben dürfen, der in der politischen Rechten nicht selbst genau so gesehen wird?

           

           

           

          Ihr Standpunkt, Zersplitterung sei ein typisches Merkmal linker Gruppierungen, greift ganz offensichtlich zu kurz.

  • K
    konrad

    wie wär es mit geflüchteten statt flüchtlingen?

     

     

     

    http://www.sprachlog.de/2012/12/01/fluechtlinge-und-gefluechtete/

  • M
    megiet

    Die Akzeptanz diser linken Bewegung leidet auch deshalb, weil insbesondere Bewohner von Einfamilienhäüsern bei Protesten in die rechte Ecke gestellt werden. Wer direkt ein Flüchtlingsheim neben sein Haus bekommt, kann sich Scheidung, Arbeitsplatzwechsel oder andere Gründe sein Haus zu verkaufen schlicht nicht mehr leisten. Die Situation wird hahnebüchen, wenn entsprechend hohe Kredite darauf lasten. Ich wäre sehr für denzentrale Unterbringung und die anderen o.g. Forderungen. Da wir aber ein Haus neben einer geplanten Unterkunft haben, liegt man ideologisch mit den linken Unterstützern gleich über kreuz. Diskussion unmöglich.

  • PM
    politics matter

    das problem liegt auch an den politischen problemen, die innerhalb der flüchtlingsgruppen entstanden sind- vorher auch schon da waren. net an den ethnischen, höchstens ethnisierten grenzen (subsahara-iran): während die einen eben unpolitisch sind, gibt es nur wenige die politisch sind. diese linie wurde immer mehr zur grenze innerhalb der gruppen. diejenigen, die politisch sind und die gruppe zu politisieren versucht haben, wurden selber angegriffen und marginalisiert innerhalb der gruppe. es stellt sich natürich die frage, welche form von politik in den gruppen vorangetrieben wurde, sodass die politisierung eher abnahm, als zuzunehmen bei einer solchen dynamik am anfang. individualismus und ausverkauf gibt es eben auch dort.

  • V
    Vale

    ich verstehe nicht, warum diejenigen, deren Asyl anerkannt wurde, definitionsgemäß nicht in die Kategorie "Non-Citizen" fallen sollen?

     

     

     

    Sie sind rechtlich doch noch lange keine "Citizens".

     

     

     

    Non-Citizen / Nicht-Bürger*in klingt für mich intuitiv nach einer sehr breiten Kategorie, die alle Menschen einschließt, die vom Staat als Menschen zweiter Klasse behandelt werden -- weil ihnen eben nicht die Staatsbürger*innenschaft, also die vollen Bürger*innenrechte zuerkannt werden.

  • S
    Steffi

    Herr Jakob, Flüchtling sein ist keine Zwangsidentität, sondern höchstenfalls ein Status. Dass sich die unterschiedlichen Ethnien anfeinden oder wenigstens gegenseitig nicht langfristig akzeptieren, war doch klar, es sei denn, man glaubt immer noch am "Multikulti."

     

    Diese ethnischen Gruppen vetragen sich nicht, aber von UNS wird erwartet, dass wir sie ALLE akzeptieren. Wie blind kann man sein?

     

    Ihr Argument, dass es nicht so gut in München auf dem Rindermarkz lief, weil einige Teilnehmer "zusammenbrachen", lässt die Begründung vermisse, dass die Personen freiwillig, um den Rechtsstaat in die Knie zu zwingen, in einen Hungerstreik getreten sind.

     

    "Non-Citizens" - ein neuer Begriff? Das neue "fahrende" oder "wandernde" Volk? Ein Nomandentum in Deutschland, das sich, was die Asylverfahren betrifft, nicht an die Gesetze halten wollen?

     

    Ein Grund mehr zu wünschen, dass diese Zustände endlich beendet werden. Kaum jemand in diesem Land hat Interesse an Chaos und Anarchie. Soll ich meine Spaziergänge durch Natur und Wald einschränken, nur weil es hier und da ein Camp oder einzelne Leute, die im Wald ihr Lager aufgeschlagen haben, gibt (Beispiel Roma in Vechta und Umgebung)?

     

    Gerne dürfen Sie mich nun in die "rechte Ecke" stellen. Es macht mir nichts aus, ehrlich nicht.

    • 1G
      1326 (Profil gelöscht)
      @Steffi:

      :-)

       

      Daumen hoch!