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Ich/ wir haben seit langem die TAZ abonniert, und NICHT die BILD Zeitung! ..."Wissend also,dass aus dem Fall nix zu lernen ist..." stellen Sie das Gierig- Spektakuläre auf die erste Seite. Sie hatten schon mal andere Prioritäten!!! Z.B. mit "Dürftige Beweislage" taznord - könnten sich viele Leser selbstkritisch und politisch (im eigenen Land) auseinandersetzen... bzw. an die schmutzige Nase fassen.
Dass man aus dem Fall gesellschaftlich nichts lernen könne ist eine Aussage, die Bernd Pickert erst einmal begründen sollte. Ich denke nicht, dass wir schon genug über den Fall wissen um beurteilen zu können, ob nicht doch eine Kultur des Wegsehens damit zu tun hat.
Dieser Joseph Fritzl ist ja nicht vom Mond gekommen, er war und ist ein Produkt und Bestandteil einer bestimmten konservativ-patriarchilischen Gesellschaft. Ich denke schon, dass das, was er an den ihm Ausgelieferten begangen hat, ein vergröbertes Bild der bürgerlich-patriarchalischen Kleinfamilie ist. Fritzl hat in äußerster Übersteigerung eine Rollenmodell gelebt, das der Gesellschaft entstammt, in der er aufgewachsen ist, so meine Vermutung, die ich für nicht allzu gewagt halte.
Übrigens glaube ich schon, dass es einen Unterschied zwischen dem Anschauen von Pornos und dem jahrzehntelange realen Foltern von Menschen gibt. Pornos bilden nicht die Realität ab und der Zuschauer weiß dies i.d.R. Pornos ebenso wie BSDM-Rollenspiele sind genau das: Sie sind spiele. Wer da mitmacht macht es freiwillig, entweder aus Lust oder für Geld, es ist die eigene Wahl.
Es ist grober Unfug zu behaupten (wie Pickerts Kommentar es impliziert), ein Mensch der sich zu solchen fiktiven Werken einen wedelt würde daher auch solchen ungeheuerlichen Verbrechen näher stehen.
Die Parteien der Mitte meinen, mit empathischer Kümmerergeste „das Ossi“ für sich gewinnen zu können. Sie sollten sie lieber zum Mitwirken auffordern.
Kommentar Fall Amstetten: Zwischen Mitgefühl und Voyeurismus
Wirklichkeit muss auch dann beschrieben werden, wenn sie schrecklich ist. Das Interesse an einem Verhalten, das so stark von der Norm abweicht, muss nicht nur von Moral getrieben sein, um legitim zu bleiben.
Jeder weiß, dass es so etwas wie den Fall Amstetten nicht geben dürfte. Männer, die ihre Töchter über Jahrzehnte hinweg einsperren, vergewaltigen und mit ihnen Kinder zeugen, die sie wiederum einsperren - das ist so fern von dem, was gemeinhin unter Menschlichkeit verstanden wird, dass es eigentlich gar nicht sein können dürfte. Deshalb interessieren wir uns für das Schicksal der niederösterreichischen Familie F. - wir wollen verstehen, was eigentlich nicht zu verstehen ist. Wir wollen uns nicht zuletzt auch unserer eigenen Werte und unseres eigenen Normalseins versichern.
Jeder weiß aber auch, dass es solche Fälle immer geben wird, als jeweils singuläre Ereignisse. Die albernen Fragen danach, warum die Nachbarn oder die Schule nichts bemerkt hätten, verbunden mit (sich selbst) anklagenden Abhandlungen über die Kälte der modernen Gesellschaft - alles Quatsch. Nach Natascha Kampusch jetzt Amstetten - warum machen alle Österreicher so was? Diese Frage stellt sich nicht.
Wissend also, dass aus dem Fall gesellschaftlich nichts zu lernen ist, versuchen die Medien - wir Medien -, dem Interesse an ihm gerecht zu werden. Wir begeben uns damit auf vermintes Gelände. Echtes Mitgefühl und Voyeurismus verlangen zunächst nach den gleichen Quellen; was also bedienen wir? Wie können wir uns sicher sein, dass nicht derselbe Leser die Verbrechen des Josef F. und die Details aus dem Amstettener "Verlies des Grauens" (so die Wiener Kronenzeitung) studiert, der sich ansonsten an Pornos Marke "Gequält im Frauenknast" ergötzt?
Gar nicht. Aber Wirklichkeit muss auch dann beschrieben werden, wenn sie schrecklich ist. Das Interesse an einem Verhalten, das so stark von der Norm abweicht, muss nicht nur von Moral getrieben sein, um legitim zu bleiben.
Die Verantwortung der Medien liegt darin, wenigstens jetzt die Würde der Opfer zu wahren. Natascha Kampusch kämpft - recht erfolgreich - bis heute gegen die Medien um dieses Recht. Dass sie überhaupt kämpfen muss, ist beschämend. Denn der Grat zwischen legitimem Interesse und entwürdigender Belästigung mag schmal sein - zu verfehlen ist er eigentlich nicht. Wenn man denn will.
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Kommentar von
Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org